Logo von Werner Helwig: EX-LIBRIS

wurde nach einem Original gedruckt,
das Aubrey Beardsley für Willy Helwig,
Werner Helwigs Vater, entwarf.



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A  R  C  H  I  V



Okt. 2015

Ausstelllungshinweis

Werner Helwig starb am 4. Februar 1985, Sonderausstellung:
Reiseleben - Lebensreise. Text(ile) Erinnerungen an Werner Helwig

17. Mai bis 30. August 2015

Weberei-Museum Kircher, Steinweg 2, 34399 Oberweser/Gieselwerder


Museumsleiter Timur B. Kircher, ein Altbündischer, präsentiert Textilien aus dem Leben, vor allem textile Andenken an die weltweiten Fahrten und Reisen des aus der Jugendbewegung hervorgegangenen Schriftstellers und Dichters Werner Helwig (aus dessen Nachlass zur Verfügung gestellt von Ursula Prause).

Eröffnung: Sonntag, 17. Mai (Internationaler Museumstag) 14 Uhr.

Öffnungszeiten des Museums:
an Samstagen, Sonn- und Feiertagen 14 bis 17 Uhr, am Internationalen Museumstag von 11 bis 18 Uhr

Kontakt: Tel. 05572/4448
www.weberei-museum-kircher.de


04.02.10

Zum 25. Todestag von Werner Helwig

Werner Helwig. Foto: Horst Tappe

Werner Helwig starb am 4. Februar 1985, drei Wochen nach seinem 80. Geburtstag, in seiner Wohnung in Thônex bei Genf. Beerdigt wurde er am 9. Februar 1985 auf dem 1000-jährigen Friedhof von Wormbach im Sauerland, der Heimat seiner zweiten Ehefrau, Gerda Helwig.
Zur Erinnerung daran EIN BRIEF AUS GENF, den Gerda Helwig vor 25 Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, geschrieben hat.


Ein Brief aus Genf

Seitdem der Dichter Werner Helwig am 9. Februar in Wormbach begraben worden ist, hat man mich oft gefragt, warum mein Mann auf diesem Friedhof beerdigt wurde. Immer ist ein kleines Erstaunen in der Frage zu spüren. Ich antworte dann meistens: „Fahren Sie nach Wormbach, dann wissen Sie es“.
Wer hinfuhr, verstand es, auch wenn er vorher gemeint hatte, sein Grab habe eher nach Griechenland oder nach Capri oder vielleicht sogar nach Island gehört.
Ich weiß es heute noch nicht, was Werner Helwig nach Wormbach zog. Ein Ahnen vielleicht. Vielleicht ein Erinnern.

Wormbach gehörte früh schon zu uns. Das ist fast dreißig Jahre her. Damals fand man bei Restaurationsarbeiten im Deckengewölbe der Kirche den geheimnisvollen Tierkreis eingezeichnet, uraltes Wissen in der Sternensprache enthaltend. Sofort berichtete ich Werner Helwig, der nicht nur Schriftsteller, sonder auch Ethnologe war, von diesem rätselhaften Fund. Er erbat sofort Photos. Noch heute steht der kleine Stier hier auf dem Schreibtisch. Er lächelt.

Wie ich Werner Helwig kennenlernte? Ich hatte alle seine Bücher gelesen, und es waren damals schon viele. Ich liebte sie und ich liebte ihn. Doch wenn man 15 Jahre alt ist, weiß das nur das Herz.
Ich schrieb ein Porträt über ihn für die Schülerzeitung des Schmallenberger Aufbaugymnasiums und wollte auch ein Bild bringen. Dafür brauchte ich die Nachdruckerlaubnis. So schrieb ich nach Genf. Werner Helwig antwortete sofort. So begann es. 1981 heirateten wir. Helwig war 76 Jahre, ich 38.

Wir lasen. Wir schrieben. Wir lebten. Und reisten. Immer wieder das Mittelmeer, das ihm in einer tieferen Schicht seines Wesens entsprach, obwohl er dort wirkte wie ein versprengter Wikinger. Wir fuhren nach Dänemark, dem Land seiner Mutter, lebten in Blockhütten, zwischen Dolmen, fuhren Rad, lagen am Meer, erörterten Steinzeitfragen, während auf dem Herd die Pilze schmorten. Malta musste besucht werden. Die Tempel der Großen Mutter warteten.
Und zwischendurch kamen wir immer wieder kurz in Schmallenberg vorbei. Wir hatten gehört, dass die Sternwarte Bochum in Wormbach eine vorgeschichtliche Sonnenwarte vermutete. Wir gingen hin. Wir witterten. Wir prüften.
Wir lernten, dass manche der alten Totenwege „Helweg“ heißen. Auch dass die von den Kreuzzügen Heimkehrenden Erde aus dem Heiligen Land an den heiligen Ort Wormbach brachten, erfuhren wir. Werner Helwigs Familienwappen zeigt Symbole, die nur Kreuzfahrer tragen durften. Er kam aus einem alten Geschlecht. Eine Ahne mit sozialer Passion strich das „von“. Dabei blieb es.

Einmal im Mai – es war kalt, viel zu kalt und es regnete – gingen wir wieder einmal nach Wormbach. In der Kirche wurde geputzt. Der Staubsauger tat den Ohren weh. Wir flüchteten und setzten uns auf die Bank am Grab von Johannes Schulte, mit dessen Vater zusammen Werner Helwig später in der Leichenhalle lag.
Da saßen wir also auf dem Friedhof, schweigend und fröstelnd. Schließlich sagte Helwig – er sprach selten viel: „Das ist der rechte Ort für Orpheus“. „In der Unterwelt“ fügte er hinzu.
Die Putzarbeiten in der Kirche waren beendet. Eine Frau trat heraus, lächelte uns zu, wir grüßten, lächelten zurück. Dann gingen wir hinein. Helwig nahm seine Schlägermütze ab und zündete Kerzen vor der Madonna an.
Dann „tippelten“ wir (ein Wort aus seiner Vagabundenzeit) durch den Regen zurück. Autos zischten an uns vorbei. In den Pfützen schwamm Öl. „Asphaltquallen“, kommentierte Helwig. Der Missmut wuchs. „Was hast du eigentlich in deinem geliebten Griechenland getan, wenn es regnete?“ fragte ich. „Geflucht und gesoffen“, war die Antwort.

Griechenland: dorthin war er, ein Hausloser und Einzelgänger, den es jahrelang zwischen Island und Nordafrika umhergetrieben hatte, immer wieder wie in eine echte Heimat zurückgekehrt. Lange lebte er dort als Fischer unter Bauern, Schmugglern, Proletariern und verdiente seinen Lebensunterhalt, denn 1933 hatte er Deutschland verlassen. Damit war er zugleich vor Ort gegangen, hatte sich soziologisch eingeordnet, wenn auch auf ungewöhnliche Art, hatte eine Entscheidung vollzogen.
Die „Raubfischer von Hellas“ entstanden – das Buch, das ihn berühmt machte. Es war das erste Buch, das auf Frevel und Raub im Mittelmeer aufmerksam machte. Kaum einer hatte so früh wie er erkannt, dass wir einer Katastrophe entgegengehen, die globale Ausmaße annehmen wird, wenn wir nicht vom ökonomischen zum ökologischen Denken umsteigen. Als das Buch 1939 erschien, war „grün“ lediglich eine Farbe im Spektrum. Von ökologischem Gleichgewicht und von der Zerstörung der Umwelt war noch keine Rede.
Was die “Raubfischer von Hellas“ dichterisch groß macht, ist eine Sprache, die durch die Oberfläche durchstößt und bis zu jener Schicht gelangt, auf der die Dämonie der Menschen und Dinge, das Sagenschwere der Landschaft, das Mythische des Meeres noch lebendig ist.

Jahrelang hatte sich Helwig der Landschaft, nicht nur der griechischen, ausgesetzt, den Mächten der Natur, von denen der Sonntagswanderer nichts oder nur Liebliches weiß, die aber einem einsamen Menschen, der lange vor ihr verharrt, einen seelischen Druck entgegenstellt, der sich bis zur panischen Angst steigern kann.
Er hatte Ernst gemacht mit der Landstreicherei, hatte sich immer wieder auch den Strapazen der Landstraße ausgesetzt, dem Hunger, der Ungeborgenheit, der Verlassenheit, den Hütern der Ordnung, die in allen Ländern auf den Typ des mittellosen Asozialen gleich reagieren und ihn gern einsperren, wenn es geht. Aus einschlägigen Erfahrungen schrieb Helwig später darüber einen „Knigge für Knast“.

Dennoch hat er die Herkunft aus bürgerlichem Milieu – sein Vater war Kunstmaler in Berlin (dort wurde er 1905 geboren) – nie verleugnen können, so sehr sein Dasein auch den Protest gegen alles Bildungsbürgertum ausdrückte. Vieles aus diesen frühen Jahren deutet noch auf den Wandervogel hin, auf einen heftig jugendbewegten Abschnitt seiner Vergangenheit. Er sprach gerne von der Burg im Hunsrück, der Waldeck, wo er lange lebte. Und die jungen Nerother sprechen noch heute mit Bewunderung von ihrem Burgpoeten. Viele Lieder hat er für sie geschrieben und komponiert. Sie werden gesungen, nicht nur von Nerothern.
Die Gitarre gehörte zu ihm. Er konnte auf ihr seltsame und markige Töne anschlagen, wenn er russische, tunesische, bosnische Volkslieder und Gassenhauer sang und unter Anschlag schriller Misstöne aus Brechts „Hauspostille“ psalmodierte. Manche nannten ihn deshalb gern einen Vaganten. Doch schmeckt das zu sehr nach Mittelalter und Spielmann. Er aber war ein Mensch dieses Jahrhunderts. War er ein Tramp? Dann aber muss man wissen, dass er jahrelang Däublers „Nordlicht“ im Brotbeutel mit sich trug und gern über die dunkelsten Aussprüche Heraklits meditierte.

Gerade hat er in Capri ein Haus gefunden, dort Japanverse übertragen und war den Mythen der Hopi-Indianer nachgegangen, da reiste er schon wieder, fuhr über Bornholm, wo er den Dichter-Freund Hans Henny Jahnn besuchte, nach Island, kehrte über London, Paris und Rom zurück und schrieb das „Isländische Kajütenbuch“, schrieb es wie eine männliche Fee. Jetzt konnte er beides: Norden und Süden verkoppeln.
Göring kam zu Besuch nach Capri. Axel Munthe wollte ihm San Michele verkaufen. Werner Helwig hatte den guten Instinkt zu verschwinden.
Und dann kam der Krieg.

Ich vermute, dass Helwig, der viel mehr Anstrengungen, Gefährnisse und Existenzbedrohungen hinter sich gebracht hatte als die meisten, für sich persönlich den Krieg weniger fürchtete als den Kommiss. Den aber fürchtete er über die Maßen. Die Phobie, die ihn schon beim Anblick eines Gendarmen oder Zollbeamten ergriff, ist mir oft aufgefallen, und der Gedanke an erzwungene Einordnung kam für ihn der Vorstellung vom Zuchthaus gleich. Er blieb also draußen, setzte sich in der Schweiz, dann in Liechtenstein fest. Es war, als wenn ein Seeadler sich auf einer Wäscheleine niederlassen wollte. Und damit die Drehung um 180 Grad voll werde, heiratete er, eine Frau sehr französischen Wesens. Sie machte ihn sesshaft. Von 1950 an lebte er mit ihr in Genf. Zwar verlor er nicht die Reiselust, aber der Hang zum abenteuerlichen Schweifen verlagerte sich auf die Leidenschaft zu ausschweifender Lektüre. Eine monströse Belesenheit begann ihn auszuzeichnen und schlug sich jahrzehntelang in zahlreichen Buchrezensionen nieder.

Dass Werner Helwig zu den exemplarischen Gestalten unseres Jahrhunderts gehört, darf man heute sagen. Er war einer der letzten Überlebenden der Vagabunden- und Wikinger-Generation und mit seinem universellen Wissen einer der letzten hommes de lettres. Damit gehörte er einer aussterbenden Rasse an. „Ich bin einer der letzten von etwas, was es nie wieder geben wird“, schrieb er.
Helwig hat es nie verstanden, sich gebührend in Szene zu setzen. Prominenz hat ihn nicht überzeugt. So stand er, selbstverständlich, nie im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, nie dort, wo man seine Kollegen, die Romanciers, die Lyriker oder Literaturkritiker antreffen konnte. Er blieb für sich – souverän im Abseits. Kompromisslos. Konsequent. Unbestechlich. Freiheit und die Selbstbestimmung seines Lebensraumes galten ihm mehr als der Ruhm.

Als er 73 Jahre alt geworden war, starb seine Frau Yvonne, deren kleines Aschesäckchen ich zu ihm in den Sarg legte. Sie war nicht gern getrennt von ihm. Für sie schrieb er sein letztes Buch: „Totenklage“. Er schrieb es aus der Höhe eines denkend und schreibend verbrachten Lebens. Es ist das Bekenntnis eines Liebenden, ist die Reflexion über das Weiterleben nach dem Tod, ist die genau beobachtete Selbsterfahrung eines Trauernden. „Totenklage“ ist nicht nur ein Unikum im Lebenswerk von Werner Helwig, sondern in der deutschen Literatur überhaupt. Das Buch gewinnt dem Tod negativ Leben ab, wie es so sensibel, so schuldbewusst, so voller Zartheit und Subtilität des Denkens und Fühlens, dabei so genau im Ausdruck der unmittelbaren, meistens nur ins Innerste gewendeten Wirklichkeit keinen Vorläufer hat, keine literarischen Beispiele.
Ob es die Krönung seines dichterischen Schaffens war, weiß ich nicht. Manche meinen es. Er selber sagte, als das Buch vor einem Jahr erschien: „Das ist meine Todesanzeige“. Er hatte Krebs. Aber er schrieb weiter. Ein Gedicht folgte dem anderen. Im Winter erscheinen sie unter dem Titel: „Wann bin ich es mit verlöschendem Gesicht“.

„Was ich zu sagen hatte, steht in meinen Büchern“, hat Werner Helwig einmal geschrieben, aber auch: „Was wir, als Gedachtes, in Buchstaben fassen, ist weniger als eine Ritzspur auf dem ungeheuerlichen Block des für immer Unbegreiflichen. Und auch, was wir als unsere Sprache erfassen und zur Anwendung bringen, ist dann noch sehr schwankend in seiner Ausdrucksgenauigkeit“.

Einmal, im frühen Sommer, war ich in Schmallenberg im Elternhaus, lief unter einem blauen Kinderhimmel über den Berg zu ihm, brachte ihm Farn, den er liebte. Ich kniete an seinem Grab, fühlte die Erde, pflanzte Blumen. Ich tat es scheu, doch lächelte man mir zu. Es war ein wenig schwer zurückzulächeln, denn mit diesem Grab teile ich eine Liebe, die hierher führte, zu einem Platz, zu dem man seit uralten Zeiten die Toten brachte, damals, als man noch wusste, dass die Toten stärker sind als die Lebenden. Sie alle schauen nach Osten, dorthin, wo die Sonne aufgeht. Es ist nicht Untergang, wohin sie schauen. Kein Stein, kein Kreuz lastet auf ihrem Kopf. Sie schauen auf ihren Namen, in dem sich ihr Wesen verdichtete.

Langsam mit den Jahren wird Efeu das Grab überwachsen, das damals so nackt war, als wir Werner Helwig begruben, mit Blumen, mit Schnee – ihn, den großen Zauberer der Sprache, den Verführer zu den Abenteuern des Herzens und des Geistes, der aus den Phantasien, den Märchen und Sagen, den großen Mythen der Völker die Wirklichkeit des Lebens gewann.

Gerda Helwig

Gerda Helwig, geborene Heimes, geboren am 15.03.1942 in Eslohe/Meschede im Sauerland, seit 1981 mit Werner Helwig verheiratet, starb am 14. 03. 1998 in Genf und wurde unweit des Friedhofs von Wormbach auf dem Alten Friedhof von Schmallenberg beerdigt.


04.02.10

In WIKIPEDIA gibt es inzwischen weitere Einträge zu Büchern von Werner Helwig:

„Die Blaue Blume des Wandervogels“

„Isländisches Kajütenbuch“

„Das Steppenverhör“

„Die Widergänger“

„Die Parabel vom gestörten Kristall“

„Totenklage (Werner Helwig)“


29.08.07

In WIKIPEDIA gibt es jetzt zu Werner Helwig

1. einen Artikel über Werner Helwig mit näheren Ausführungen zu seinem Leben und literarischen Schaffen sowie mit einer neu bearbeiteten ausführlichen Bibliographie,

2. einen Artikel über Helwigs Werk „Raubfischer in Hellas“ und

3. einen Beitrag über Hai & Topsy, enge Freunde von Werner Helwig und Interpreten seiner Lieder.


29.08.07

„Hai & Topsy – Bilder, Lieder und Geschichten“

ist Thema einer Ausstellung, die am 21. Oktober in Wiesbaden mit einem Konzert von Hai & Topsy in Begleitung von Miriam Oldenburg eröffnet und bis zum 18.11.2007 zu sehen sein wird. Näheres dazu in "Köpfchen" 2007 Nr.2 (Seite 2) unter www.burg-waldeck.de


13.11.06

Werner Helwig und Erik Martin

Erik Martin, bekannt als Helwig-Kenner und Herausgeber der Zeitschrift MUSCHELHAUFEN (Jahresschrift für Literatur und Grafik), wird in der in Kürze erscheinenden letzten MUSCHELHAUFEN-Ausgabe - MUSCHELHAUFEN 47/48 (2007) - einen mehrseitigen Beitrag von Ursula Prause mit dem Titel MUSCHELHAUFEN UND DÜNENSCHUTT publizieren. Darin wird vieles über die Beziehung zwischen Werner Helwig und Erik Martin nachzulesen sein. Bestandteil dieses Artikels sind auch Texte aus dem Nachlass von Werner Helwig: „Einfälle“/Notizen/Neufassungen, vor allem aus Helwigs letzten Lebensjahren.
Der Beitrag ist der Dank der Verfasserin für den großen Einsatz, den Erik Martin geleistet hat, um Leben und Werk von Werner Helwig nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Erik Martin hat auf seiner Webseite www.muschelhaufen.de Auszüge aus diesem Beitrag veröffentlicht. Dort kann auch eine Bestellung von MUSCHELHAUFEN 47/48 (2007) erfolgen.



R ü c k b l i c k


06.03.06

RÜCKBLICK AUF DIE VERANSTALTUNGEN IN HAMBURG

Fotos 2006 © by Ulrich Prause

Werner Helwig – ein zurückgekehrter Sohn der Stadt Hamburg

In Berlin geboren, hat Werner Helwig die längste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht: als Emigrant und im Exil, aber auch aus reinem „Vergnügen“, sich „in der Welt herumzu- treiben“. Auf die Frage: „Sind Sie Deutscher?“ war seine Antwort: „Nein, Hamburger“.1

Hamburg, die Herkunftsstadt seiner Eltern, insbesondere Stadt seiner Mutter, Ort turbulenter Jugendjahre, „Tor zur Welt“ für viele Wanderungen, Fahrten und Reisen, die Stadt von Hans Henny Jahnn, mit dem Helwig über 30 Jahre befreundet war – das KaiFU, Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer, an dem Hans Henny Jahnn 1914 Abitur gemacht hat, öffnete Helwig am 17.02.2006 die Türen.



KaiFU, Hamburg


Dank der Initiative und dem Organisationstalent von Helmut Steckel, dank der Bereitschaft und des Mutes von Schulleiter Dr. Peper, das Helwig-Projekt in das Veranstaltungsprogramm der Schule aufzunehmen, dank der Unterstützung verschiedener Einrichtungen und Behör- den, dank der Hilfe von Lehrern (insbesondere Klaus Runge, Andreas Örtel und Dr. Joachim Wendt), Eltern und anderen „guten Geistern“, dank der Mitwirkung von Referenten, singenden und sprechenden Vortragskünstlern, kam eine große, viele begeisternde Helwig-Veranstaltung zustande.

In einer internen Schulveranstaltung konnten Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen viel über Helwig erfahren – zunächst in einem Referat. Ich stellte dar, wie er, 1905 in ein katastrophengeschütteltes Jahrhundert hineingeboren, als „Überbleibsel“ aus einer zerbrochenen Ehe, ohne Abschluss einer schulischen und beruflichen Ausbildung, ein abenteuerliches Vagabundenleben führt, auch wilde, turbulente Jahre in Hamburg verbringt, in der bündischen Jugend Heimat findet, vor allem aber heimisch wird in der literarischen Welt und als Schriftsteller an junge Menschen appelliert hat, sich von „Neugier auf das große Abenteuer des Daseins“ leiten zu lassen und die Lust nicht zu verlieren „an diesem ganz und gar unerfindlichen, ebenso schwierigen wie schönen Leben“.2



Helwig, der Liedermacher, wurde vorgestellt von Hai & Topsy (Frankl) sowie von „Bömmes“ (Hans-Dietrich Mohr). Lieder unterschiedlichster Art kamen zu Gehör: von Helwig vertonte Brecht-Texte als auch von Helwig gedichtete und vertonte Lieder.
Die Schauspielerin Katinka Springborn las höchst eindrucksvoll Helwigs Satire „Krone der Schöpfung“ (nach Helwig seine „erfolgreichste Geschichte unter jungen Leuten“). Ein Erlebnis besonderer Art kam zustande, da Lehrer Runge einen Weg gefunden hatte, Helwig-Texte in den Unterricht zu integrieren. Zwei Schülergruppen trugen je ein Gedicht aus Helwigs letzten Lebensmonaten sowie ihre Interpretationen dazu vor - erarbeitet im Rahmen einer Lyrik-Unterrichtsreihe.



Schülerinnen und Schüler, die Helwig-Lyrik interpretiert hatten, tragen ihre Ergebnisse vor   
Die Vortragenden


Die öffentliche Abendveranstaltung, zugleich Eröffnung der Helwig-Ausstellung, war eine gelungene Überraschung für Helwig-Kenner und Helwig-Freunde, darunter auch junge Leute, die wegen des am nächsten Tag stattfindenden Singewettstreits nach Hamburg angereist waren. Wer gekommen war, um erstmals etwas über Helwig zu erfahren, konstatierte überrascht, dass Helwig nicht zu den Vergessenen gehört, dass es sogar „Helwig-Fans“ gibt.


Dr. Peper, der Schulleiter, bei der Begrüßung   
Publikum der Abendveranstaltung.
Vorne (v.l.n.r.) K. Springborn, "Bömmes", 
Prof. Reulecke, Hai Frankl


Das umfangreiche Abendprogramm ließ Helwig auf vielfältige Weise lebendig werden: durch Beleuchtung seiner persönlichen bizarren, turbulenten, katastrophenreichen Lebensge- schichte und seiner literarischen Leistungen (Referat Ursula Prause), später durch vergleichende Betrachtung seiner individuellen Biographie mit den Lebensläufen anderer aus der Generation der um 1905 Geborenen (Prof. Jürgen Reulecke).
In „Kirios Samsarellos“, Bestandteil von Helwigs Roman DIE WIDERGÄNGER und vorgetragen von Katinka Springborn, schien Helwig und sein Schicksal in literarischer Umsetzung zusammengefasst hörbar zu werden: „Ich fiel durch die Tage, durch die Nächte der Welt. Und obwohl Tage und Nächte unendlich waren, wurden sie von meinem wirbelnden Fall durchmessen. Die Geschwindigkeit meines Sturzes ließ mich aufleuchten. Ich wurde an den Widerständen zum Stern.“.3

Einiges von dem im Referat über Helwigs Leben und Werk Angesprochenen kam auch zum Ausdruck in den von Katinka Springborn ausgewählten und vorgetragenen Gedichten des 17- bis 23-jährigen Helwig: DER LANDSTREICHER („Ein großes Suchen trieb ihn immer wieder auf/.../Er spürte schmerzhaft/all die Schatten...“); AM 3. AUGUST IM POLIZEIGEFÄNGNIS; WIE LAUT ICH WAR, WIE GRELL, VON DER MARIE ASTRUP, DIE IM LULEÄLV ERTRANK oder in ICH LAG IM BOOT („ohn’ Ruh’“, voll Sehnsucht, „in die Welt zu traben“). Es sind Gedichte voller Schwermut, Trauer, Sehnsucht, Fernweh, Traum und Musik.4
Hai, Helwigs engster Freund, und dessen Frau Topsy ließen Helwig vor allem in seinen Brecht-Vertonungen lebendig werden, „Bömmes“ vor allem in den z.T. romantischen, von Hunsrück und Fahrtenleben inspirierten Liedern.
Für mich und – wie mir scheint – auch für viele andere war es staunenswert, wie sich die unterschiedlichen Beiträge mosaikartig zusammenfügten zu einem lebendigen Bild von Helwig und seinem Werk.


Der Anfang einer Fotogalerie zu Helwigs Leben (isg. 15 Fotos umfassend) - erstmals in Hamburg präsentiert


Fotogalerie Treppenaufgang zur 1. Etage




Ausgaben der Hellas-Trilogie und anderer Griechenlandromane






Helwigs Arbeitsplatz
Was  geschieht,  hat  nur den Sinn, Sprache  zu werden.
 Zu  dieser  schlichten  Formel  kam  ich,  Werner  Helwig, Freund   Momberts,  Däublers,  Pannwitzens,  Fuhrmanns, Verehrer  Rilkes,  Borchards,  Hofmannsthals,  in  meinem
57. Jahr im Frühling 1962


Die Ausstellung, die von meinem Mann und mir zu Helwigs 100. Geburtstag zusam- mengestellt und ausgerichtet worden ist, wurde zuerst in der Universitätsbibliothek Basel gezeigt, dann in Teilen und mit veränderter Schwerpunktsetzung im Sauerland, der Heimat von Helwigs zweiter Frau, wo er auch begraben liegt. Sie ist nun – abgestimmt auf Helwigs Beziehung zu Hamburg und namentlich zu Hans Henny Jahnn – bis zum 31. März 2006 am KaiFU in Hamburg zu sehen.
Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, dass noch manch einer Helwig für sich entdeckt und die Beschäftigung mit ihm als lohnend erfährt.
Ursula Prause

1Werner Helwig, WARUM ICH IM AUSLAND LEBE. In: ICH LEBE NICHT IN DER BUNDESREPUBLIK, hrg. von Hermann Kesten, München 1964, S. 73f.
2Werner Helwig, DIE BIENENBARKE, Godesberg 1953, S. 5f.
3 Werner Helwig, DIE WIDERGÄNGER, Köln 1960, S. 116
4Texte in: Werner Helwig, GEDICHTE 1920 BIS 1960. Mainz 2000, hrg. von Ursula Prause. Privatdruck






Ursula Prause:

Werner Helwig – ein zurückgekehrter Sohn der Stadt Hamburg

Sein Leben und Werk vor dem Hintergrund der Ausstellung



Ich freue mich sehr über die Einladung hierher nach Hamburg und begrüße Sie alle ganz herzlich!



Ursula Prause bei ihrer Rede während der Abendveranstaltung


1811 wird in der Freien und Hansestadt Hamburg von Margareta Caroline Elisabeth Hellwig aus Zellerfeld/Harz die Geburt eines unehelichen Sohnes angezeigt. Der erscheint später in Akten von Altona als „hiesiger Einwohner und Musicus“. Dessen Sohn, ebenfalls „Musicus“, stirbt in der Irrenanstalt Friedrichsberg, hinterlässt Frau und Sohn. Sie wird sterben – 1916 – in den Staatlichen Versorgungsanstalten von Hamburg. Der 6-jährige Sohn Johann Franz wird sich Willy nennen, stets Klassenbester sein an der Volkschule im Schulbezirk Spitalerstraße, auf dem Standesamt 21 in Hamburg 1903 die Ehe eingehen mit Jakobine Johanna Wiencken, der Tochter eines Hamburger Zollbeamten, mit ihr nach Berlin gehen und dort 1905 Vater werden von Werner Helwig – womit wir bei dem angekommen sind, der uns heute interessiert, der nun hier in Hamburg präsent ist – ein Jahr nach seinem 100. Geburtstag.
Werner Helwig – ein zurückgekehrter Sohn der Stadt Hamburg, obwohl nicht einmal ge- bürtiger Hamburger, sondern gebürtiger Berliner, der bis zu seinem Lebensende ein selbstverständliches Berlinerisch sprach und vom „Glück, Berliner zu sein“?
     Werner Helwig war ein schwieriger Mensch. Er hat das auch selbst so gesehen: „Steinbock-Natur“, „immer Gegenwind für andere“, „Widergänger“, Neinsager; im Umgang schwierig, selbst für Freunde, eigenwillig, eigensinnig, unbequem. Schon äußerlich auf- fallend, weil von hünenhafter Gestalt, wie ein versprengter Wiking wirkend, „wie ein See- adler auf der Wäscheleine“.
     In die Annalen ist er eingegangen und in Lexika zu finden als Schriftsteller, Dichter, Essayist, Feuilletonist, Kritiker, Rezensent, Ethnologe, Liedermacher - immer im Zusam- menhang gesehen mit der Jugendbewegung als prägender Kraft.
     Aber den wenigsten ist er bekannt, allenfalls als Autor der RAUBFISCHER und dann noch umstritten, manchen bekannt durch seine Lieder, manchen, weil er Bücher geschrieben hat, die verlocken, auf seinen Spuren die Welt zu erkunden. Nie „’Berühmt’ im Sinne eines Schriftstellers mit Riesenauflagen und ... Bestseller-Chance“, wie Jean Améry 1965 in der Essay-Reihe „Berühmte Zeitgenossen“ schrieb, ein Sonderling, der stets eigene Wege suchte und ging, ein Außenseiter – auch literarisch – , „immer außenseiterisch bestimmt“, wie er von sich selbst sagt.
     In Basel wurde er vorgestellt in einer Ausstellungsreihe über zu Unrecht fast vergessene Schriftsteller: als „Widergänger“, auch literarischer Widergänger.

Werner Helwig - ein ungewöhnlicher Mensch und ungewöhnlich wie er selbst: sein Leben, ungewöhnlich auch sein literarisches Werk. Die Ausstellung kann, so hoffe ich, etwas davon deutlich machen. Sie ist so konzipiert, dass Helwigs Leben quasi nachgehbar ist von den Anfängen in Berlin bis zu seinem Ende: Tod in Genf und Begräbnis im Sauerland (vom 1. in den 2. Stock).
Der Weg führt durch die Hauptphasen seines Lebens zu den Orten und Personen, die für ihn besondere Bedeutung hatten. Schwerpunkte sind Helwigs Hamburger Jahre 1922-1932 (1. Stock) und (zentral im Foyer vor der Aula) Griechenland.
Der Weg durch die Ausstellung führt zugleich zu vielen Büchern: zu Büchern, die für Helwig unverzichtbar waren, und zu Büchern, die er selbst geschrieben hat. Im Eingangsbereich (1. Stock) haben Sie vielleicht schon einen ersten Eindruck von Helwigs Leben und Werk gewinnen können durch das Element aus seiner Bibliothek, deren Kern über 50 Whisky- und Käsekisten waren.
Da Helwigs Werke stark autobiographisch geprägt sind, finden sie sich i.d.R. den biographischen Geschehnissen zugeordnet, die den Stoff geliefert haben. Vielfach weisen schon die Titel darauf hin, welche Ereignisse in den Büchern literarisch umgesetzt worden sind: LAPPLANDSTORY; ISLÄNDISCHES KAJÜTENBUCH; CAPRI. MAGISCHE INSEL; IM DICKICHT DES PELION usw.
Ich hoffe auch, dass Sie in der Ausstellung selbst auf Spurensuche gehen und Ihre ganz eigenen Entdeckungen machen. Helwig würde vermutlich sagen, wie er es im Vorwort seines Buches DIE BIENENBARKE tut: „Entnimm daraus, was dir nahe kommt. Ergänze aus eigener Einsicht, was zur Ergänzung auffordert. Vielleicht, dass deine Kraft dort erst anfängt und weiterwirkt, wo meine endete. Der Wunsch kennt viele Wege. Das Horchen sucht nach Antwort.“

Prof. Dr. Reulecke wird Werner Helwig in einem größeren historischen und zeitge- schichtlichen Zusammenhang vorstellen. Ich möchte stattdessen über Helwigs ganz per- sönliche Geschichte sprechen und besonders den Teil beleuchten, der mit Hamburg und Hans Henny Jahnn zu tun hat.

Die Startbedingungen für Helwigs „literarische Lebensreise“ – ein Ausdruck von Karl Krolow – waren nicht die besten.
     Willy Helwig, Werner Helwigs Vater, Kunstmaler und Graphiker, ist seinem Schwie- gervater in Hamburg so zuwider, dass dieser hofft, der „Kunstmensch in Berlin“, der „Windhund“, wie er ihn nennt, möge im Krieg fallen. Er fällt nicht, lässt sich aber im Krieg, 1917 scheiden. Sohn Werner, 12-jährig, wird dem Sorgerecht des Vaters unterstellt. Die Mutter geht zurück nach Hamburg. Das ist der Beginn von Helwigs „bizarrem“ Leben.
     13/14-jährig wird er vom Vater wegen zunehmend schlechter werdender schulischer Leistungen nach Hamburg in eine Erziehungsanstalt gegeben: ins „Rauhe Haus“, danach in eine landwirtschaftliche Lehre auf ein mecklenburgisches Gut. „Ich war ja nur“ – so Helwig – „das abgeschobene Überbleibsel einer Ehe, an die mein Vater nicht mehr erinnert werden wollte“.
     Erste Gedichte, die er dem Vater schickt, kommen aus Berlin zurück: „Verschon mich damit. So was ist bei uns in Berlin längst passé“.
     In Berlin unerwünscht – der Vater ist mit Neuverheiratung mit einer seiner Schülerinnen von der Kunstschule befasst – geht Helwig ca. 17-jährig nach Hamburg – ohne Schulabschluss und auch ohne Abschluss einer beruflichen Ausbildung. Er besucht bis 1933 den Vater in Berlin noch zweimal – danach nie wieder.
     In einem seiner frühen Gedichte heißt es: „Mein Vater/Du bist härter als Diamant/und weicher denn Blumen./Wer könnte/dich Ungewöhnlichen verstehen./Und doch/verbinden uns so viele feine Fäden,/.../Und doch/sind wir uns fremd/so fremd ... Warum?“ - Knapp großjährig, schreibt er dem Vater: „Die Zeit ist nun reif ... Ich bin allein und selbständig“. „Ich werde warten, bis Du mich brauchst“.

Dennoch korrespondieren beide intensiv miteinander. 135 Briefe und Karten sind es allein aus der Zeit von 1925 bis 1940, die Helwig seinem Vater geschrieben hat – Briefe , die wie ein permanentes Buhlen um Anerkennung klingen. Im Nachlass befindet sich nur die Korrespondenz von Helwig an seinen Vater, was der Vater geschrieben hat, ist nur aus Helwigs Briefen zu erschließen. Es müssen an Kritik, Ermahnung und Belehrung reiche Briefe gewesen sein, Ausdruck von Bevormundung, Geringschätzung, Abwertung, Ablehnung, auch Helwigs Leseinteressen und schriftstellerische Versuche betreffend - von Helwig jedenfalls so wahrgenommen. „Er hatte die unselige Begabung, die Sohnesliebe und das Sohnes- vertrauen immer wieder in mir zu ersticken“ – so Helwig.
     Die Beziehung zu seinem Vater hat Helwigs Leben nachhaltig bestimmt. Abgeschoben, gewissermaßen auf die Straße gesetzt, muss er sich neu orientieren. Zuwendung, Aner- kennung, Heimat und Geborgenheit müssen anderswo gesucht werden.

Beim Aufbruch in die Welt nimmt Helwig aber auch Positives mit. Im Elternhaus früh ans Lesen gekommen, erfährt er: „In Büchern sind Welten verborgen“: „Neben meiner Kinderspielwirklichkeit, neben den ersten Schulanstrengungen, neben dem ... Leben mit den Eltern erstand ein Reich von ähnlicher, eigentlich stärkerer Fülle von Wirklichkeit“. In Büchern findet er „Leseheimat“. Er entwickelt eine solche Leseleidenschaft, dass er von Büchern nicht mehr los kommt und Bücher zu einer lebenslangen Passion werden.
     Zunächst verlocken Leseabenteuer, das Gelesene im wahrsten Sinne des Wortes selbst zu er–fahren.
     Damit das Erlebte und Erfahrene nicht verloren geht, kommt er ans Schreiben. In Helwigs Worten ausgedrückt: „wenn man nicht zugriff, wenn man nicht wagte, hie und da einen Ausschnitt ins Licht der Worte zu stellen und sichtbar zu machen, verlor sich das Gewebe weithin in wogende Nebel“. – In Helwig entwickelt sich die Überzeugung: „Was geschieht, hat nur den Sinn, Sprache zu werden“, und so wird ihm sein Lieblingshobby schließlich zum Beruf.

Zunächst treibt es ihn von Berlin, der Stadt seines Vaters, fort nach Hamburg, in die Stadt seiner Mutter. „... ist mir doch [Hamburg] im Laufe der Zeit ... mehr oder weniger meine zweite Heimat geworden....Wenn ich in Hamburg irgendwo Stellung fände, würde ich sofort hinkommen, am liebsten in einem Blumengeschäft oder Fabrik ist mir alles egal, die Hauptsache ist, dass wir zusammen sind“ schreibt er seiner Mutter nach Alt-Rahlstedt.
     Er bricht seine landwirtschaftliche Lehre ab und ist von 1922/23 bis 1925 „in den Turbulenzen der Nachkriegszeit: [mit] Hunger, Inflation, Expressionismus“ – so Helwig – und dann noch einmal 1929 bis 1932 weitgehend in Hamburg.
     Was er in diesen Jahren – nach eigenen Berichten, z.T. durch Dokumente belegt – in Hamburg alles erlebt und von hier aus unternommen hat, ist chronologisch schwer ein- zuordnen. In jedem Fall sind es wilde, turbulente Jahre.
     Helwig ist in Hamburg zu finden im Wartesaal des Dammtorbahnhofs, „damals nach Weltkrieg I der Treffpunkt der Gescheiterten und Arbeitslosen“. „Hier kamen die be- denklichsten Verabredungen zustande...Die ganze Welt, von hier aus erlebt, war grau, muffig, stinkig, öde und von der Suche nach Fraß, von der Sorge um eine Schlafstelle erfüllt“ (so Helwig in DIE BLAUE BLUME DES WANDERVOGELS), zu finden in einem dubiosen Schlafquartier „in der Hamburger Altstadt, im sogenannten Gängeviertel“, dann in einer „mit Büchern vollgestopfte Wohnung“ in Groß-Flottbek bei Walter Serno, einem Wan- dervogelverleger, bei seiner Mutter und seinem Stiefvater Lutz Bergen, Hamburg, Bebelstieg. „Sohn wurde ... hier akzeptiert (auch vom Stiefvater) und hatte nun wieder ein Heim“ – so Helwig.
     Er ist zu finden bei Gelegenheitsarbeiten in einer Gärtnerei in Wandsbek und bei der Friedhofsverwaltung Ohlsdorf; in der Uni als Schwarzhörer von Vorlesungen, bis er bei einer Kontrolle auffliegt und verwarnt wird. Dass er Völkerkunde, Musik u.a. studiert hat, gehört in den Bereich der Legende.
     Er ist zu finden in Bibliotheken, Büchereien, Museen, um im Selbststudium seine als schmerzlich empfundenen Bildungslücken zu schließen. Auf diese Weise kann er sich im Laufe der Zeit ein immenses Wissen in Literatur und Sprachen, in Kunst, Musik und Ethnologie aneignen.
     Helwig ist auch zu finden in den Kammerspielen am Besenbinderhof, wo er z.B. die Bekanntschaft mit Klaus Mann macht, dem Sohn von Thomas Mann, im Knast wegen Teilnahme an einer verbotenen kommunistischen Demonstration, bei Persönlichkeiten der Jugendbewegung, bei Werner Kindt und Walter Hammer, Verlegern aus der Wander- vogelbewegung, die in ihren Zeitschriften erste Gedichte von Helwig veröffentlichen.
     Es ist eine Zeit intensiver Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Musik. Er liest Werke von Ernst Barlach, Alfred Mombert, Theodor Däubler, auch von Hans Henny Jahnn, der ja hier am Kaifu 1914 Abitur gemacht hat.

Hamburg ist für Helwig aber auch „Tor zur Welt“, Ausgangspunkt für abenteuerliche Wanderungen und Fahrten. Von hier aus findet er auch zur Burg Waldeck im Hunsrück, zur Bündischen Jugend, die ihn prägen sollte und in der er viele Freunde findet. Die beiden ältesten, einzig noch Lebenden aus Helwigs Wiebadener Nerother-Gruppe, sind heute sogar unter uns: Hai Frankl, 86 Jahre, und Sherry, Dr. Brand, 92 Jahre.
Helwig geht zunächst allein auf Fahrt, auf eigene Faust, zur Erkundung von Ländern und Landschaften, die ihn fesseln, aber auch zur Erkundung der literarischen Welt, in der er heimisch werden will, indem er Schriftsteller aufsucht, die er verehrt.
     Bücher, z.B. von Hamsun, Hesse und Yeats, Bücher über Landstreicher, Stromer, Schnorrer und Wanderlehrer sind Anlass, „es ... dichtenden und erdichteten Figuren gleichzutun“. Er hofft, „ähnlichen Typen...begegnen“ zu können und dass ihm „der fehlende Zuhörer und Freund auf die Art zufallen würde.“
     Seine „literarischen Vagabondagen“, wie er sie nennt, führen ihn zu vielen literarischen Größen seiner Zeit, zunächst zu Knut Hamsun in Norwegen (1923/24), Thomas Mann in München (1925) sowie zu Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke in Italien (1926).
     Im Laufe seines Lebens kommen viele Bekanntschaften, z.T. Freundschaften hinzu – aus dem Kreis expressionistischer Dichter und Künstler sind es z.B. Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin, Ernst Barlach, Kurt Heynecke und aus dem Kreis der kosmisch-mythischen Dichter, in deren „Kometenschweif“ er eine Zeitlang mitgefahren sei: Rudolf Pannwitz, Ernst Fuhrmann, Theodor Däubler und auch Hans Henny Jahnn. Zu seinen Bekannten gehören auch Cocteau, Gide, Montherlant und James Joyce. Alfred Mombert, neben Rilke ein besonders Verehrter, Richard Seewald, Ernst Jünger, Monika Mann, Tochter von Thomas Mann, etc. Über sie und viele andere hat er geschrieben und mit vielen auch korrespondiert.

1929 ist Helwig nach einer Lapplandfahrt, wie er schreibt, „Aus einer Kette von außerordentlich interessanten und gefährlichen Abenteuern ... glücklich, wohlbehalten, äußerst gesund und schwarzbraun gebrannt, gelöst“ wieder in Hamburg gelandet und will „erst einmal in aller Ruhe den literarischen Profit aus allem herausschlagen, um etwas Geld zu verdienen“.
     Im Hamburger Anzeiger ist zu lesen: „Werner Helwig ist auch ein junger Hamburger; dieser Tage kam er her und erzählte, er sei jetzt Landstreicher und habe in seiner Heimatstadt nur Winterquartier bezogen. Und es sei bald kalt und hier seien so ein paar Balladen, wie er und seine Kameraden sie unterwegs vortrügen für Brot und Quartier. Er sah fesch aus dabei; es ergab sich, dass so etliche 15 junge Leute, keiner über 24 Jahre alt, selbst in diesen unromantischen Zeitläuften ganz gut landstreichen können, wenn sie sich nur ein wenig anpassen: „in Oslo z.B. sprechen und singen sie vorm Mikrophon“, [in Moskau sind sie als wandernde Studenten aufgetreten], „von Stambul nach Italien fahrend nehmen sie Gelegenheit, Bolschewismus und Faschismus unmittelbar zu vergleichen. Sie tippeln als Kollektivum mit verteilten Rollen: einer weiß die Leute einzuwickeln, ein anderer für Essen zu sorgen, und Helwig ist der „Aussager“. Das Aussagen geschieht in Art balladesker Trommelverse.“
     Helwig, der sich in der Zeit seines Herumvagabundierens Toddy/Tramp Toddy nennt, organisiert Toddy-Veranstaltungen mit „Toddy-Liedern“ und „Toddy-Revue“ - angekündigt in der von H.H. Jahnn herausgegebenen Zeitung „Gläserne Maske“. Sein Ziel: Geld einspielen für weitere Fahrten.
     Vor allem Balladen, in der Zeitschrift QUERSCHNITT publiziert, sind literarische Erfolge. Helwig hat zum ersten Mal keine Geldsorgen.
     Er hat ein anderes Problem: Er geht mit seinen eigenen Nerothergruppen, den „Freibeutern“ und der „Bakschaft Störtebeker“, auf Fahrt und kommt wegen Verstoßes gegen § 176 für 3 Monate in Untersuchungshaft. Er muss, obwohl sich seine Mutter und Jahnn für ihn einsetzen, unter Anrechnung der U-Haft noch sechs Monate ins Gefängnis – eine nur aus der Zeit heraus zu verstehende Verurteilung.

Hans Henny Jahnn hat in Helwigs Leben zweifelsohne eine zentrale Bedeutung gespielt. Fast 40 Jahre - Helwigs Lesebegegnungen mit Jahnn eingeschlossen - 32 Jahre seit der ersten persönlichen Begegnung - verbindet sie eine Freundschaft, die erst mit Jahnns Tod 1959 endet – eine schwierige Freundschaft, was bei zwei so komplexen und komplizierten Persönlichkeiten nicht verwunderlich ist.
     Helwig sucht den Kontakt, weil er den Autor des Dramas PASTOR EPHRAIM MAGNUS kennen lernen möchte. Sein 1. Brief von 1925 bleibt unbeantwortet. Der 2. von 1927 bewirkt Jahnns Besuch bei Helwig.
     1931 intensiviert sich der Kontakt. Helwig wohnt zuweilen bei Jahnn: Hamburg, Heidberg, nennt ihn manchmal liebevoll respektlos „Lieber Heidberg“ wie zuvor „Gläserne Maske“.
     1931 ist der Tod von Gottlieb Harms, Lebensgefährte von Jahnn, Anlass, dass Helwig an Jahnns NEUER LÜBECKER TOTENTANZ mitarbeitet. Denn in Jahnn sind laut eigener Aussage „alle Vorstellungen, Bilder“ erloschen: „Werner Helwig half mir über die bilderlose Öde hinweg ... Er führte die Feder und gestaltete die Verse“. Helwig trägt vor allem eine seiner Hymnen bei: SO SPRICHT DER TOD: HERSANDTE MICH GOTT.
     1933 verlassen beide Deutschland. Jahnn ist ab 1934 im Exil auf Bornholm. Helwig verlässt Deutschland 1933 freiwillig und besucht Jahnn einige Male in Dänemark.
     Im übrigen führen sie einen regen Briefwechsel, in den 40er Jahren speziell über Jahnns Trilogie FLUSS OHNE UFER, der unter dem Titel BRIEFE UM EIN WERK 1959 veröffentlicht wird.
     Helwig schenkte die gesamte an ihn gerichteten Korrespondenz von Jahnn zu Lebzeiten der Mainzer Akademie für Literatur. Heute befindet sich diese Korrespondenz im Deutschen Literaturarchiv in Marbach a. N.
     Helwigs Buch DIE PARABEL VOM GESTÖRTEN KRISTALL (1977) enthält seine Rückschau auf die Freundschaft mit H.H. Jahnn.
     Beide fühlten sich voneinander angezogen und abgestoßen zugleich: Helwig schreibt Jahnn (1929): „Ich fühle mich in Ihnen zu Hause wie in einer alten Jacke. Ich könnte in Sie einkriechen und brauchte gar nicht mehr Helwig zu sein... Aber ich glaube, dass es vielleicht doch besser ist, Helwig zu sein. Es ist sicher viel leichter“.
     Nach Jahnns Urteil ist Helwig: „lebendiger als die meisten Menschen, aber auch geheimnisvoller“, hat er „etwas Brutales, aber bewundernswert Vitales“. Jahnns Beziehung zu Helwig ist - nach seinen eigenen Worten - bestimmt von „heimlichem Neid“ und „Grausen“, von „bewundernder Abneigung“, obgleich „in ständiger Versuchung“, habe er es aber „niemals gewagt“, „auch nur soviel wie eine erotische Geste zu zeigen“.
     In seinem letzten Brief an Helwig schreibt Jahnn: „ich glaube, dass die Mischung aus Geist, Sinnen und Funktion, die Dein Wesen ausmacht, zu dem geführt hat, was man Freundschaft nennen könnte“.

Vordergründig betrachtet ist das Schicksal von Emigration und Exil Jahnn und Helwig gemeinsam. Im Unterschied zu Jahnn, der nach seiner Emigration ab 1934 im dänischen Exil auf Bornholm verbringt und 1945 nach Deutschland, sprich: Hamburg zurückgekehrt, verlässt Helwig 1933 Deutschland freiwillig, muss nach kurzer Rückkehr vor einer Verhaftungswelle gegen Bündische fliehen und ist dann in den 30er Jahren an wechselnden Orten: auf Sizilien, Capri, in Griechenland, auf Island etc. – an keinem Ort länger als wenige Monate, ist 1939 als Emigrant in Zürich, wird ausgewiesen, obwohl er mit einer Schweizerin verheiratet ist, weil er gegen das seit Kriegsbeginn für Ausländer geltende Publi- kationsverbot verstoßen hat, lebt 1942 bis 1949 unter kärglichen Bedingungen im Exil in Liechtenstein, kehrt aber nicht nach Deutschland zurück – kurze Besuche ausgenommen – , sondern lebt ab 1950 bis zu seinem Tod 1985 in Genf.
     Es ist die Zeit seiner größten schriftstellerischen Erfolge: Die meisten seiner Bücher kommen heraus. Er wird ausgezeichnet mit dem großer Literaturpreis der Mainzer „Akademie der Wissenschaften und der Literatur“, wird Mitarbeiter zahlreicher renommierter deutscher und schweizerischer Zeitungen und Zeitschriften und kann Reisen in alle Welt unternehmen.
     Als 1978 nach 38-jähriger Ehe seine Frau Yvonne stirbt, stürzt er in eine schwere Krise. 4 Jahre vor seinem Tod heiratet er ein zweites Mal: Gerda Heimes, meine Schwester. Sie ist 38 Jahre, Helwig 76. Bis zuletzt schreibt er – aber nur noch Gedichte. Die letzte Reise führt Werner und Gerda Helwig nach Malta, zum Tempel der Großen Mutter. Kurz nach seinem 80. Geburtstag stirbt er in Genf.
     Begraben liegt Helwig in Deutschland, im Sauerland, der Heimat seiner 2. Frau, in Wormbach, dem Endpunkt eines Hellweges, eines Totenweges, auf dem die Menschen schon in germanischer Zeit ihre Toten brachten.

Helwig nannte „Waldregen“ sein Lebenswerk, seine „reinste Findung“ - außer der Erzählung DER GEFANGENE VOGEL/DER SIEBTE SOHN.
Waldregen „sind Strophen, Sprüche, Erklärungen, Aussagen, Feststellungen, die das Gewand der Verse tragen, das mir liebste Werk Werner Helwigs“, schrieb Jahnn, als 55 WALDREGENWORTE erschien – nur ein kleiner Teil des immensen Bestandes, der noch nicht einmal vollständig erfasst ist.
     Jahnn war überzeugt, Helwigs Bestimmung sei die Lyrik; denn – so Jahnn – „er schmeckte die Worte, zerkaute und schmeckte sie. Seine Prosawerke bilden das Abenteuer seines äußeren Lebens ab. Auch sie sind durchsetzt von genauen und knappen Aussagen, die im magischen Sinne dichterisch sind.“
     Kostbarkeiten besonderer Art sind außerdem Helwigs Bearbeitungen fernöstlicher Texte, von Kennern hochgeschätzte Nachdichtungen chinesischer und vor allem japanischer Lyrik.
     Beachtenswert auch die Essays, in denen er seine ur- und vorgeschichtlichen, kultur-, kunst- und religionsgeschichtlichen Kenntnisse eingebracht hat und in denen es ihm, dem Ethnologen, vor allem darum geht, zu den mythischen Wurzeln vorzudringen.
     Als 1984 Helwigs letztes Werk TOTENKLAGE erschien, geschrieben nach dem Tod von Yvonne, seiner ersten Frau, hieß es bei Kritikern: „Die Auseinandersetzung mit Schicksal und Tod, Leiden und Weiterleben, Fassung und Fassungslosigkeit würdigen mehr als Respekt ab“; „Werner Helwig, der uns von Lappland bis Capri und von Island bis Hellas so viel Weltschönheit und Leben in seinen Büchern vermittelt hat, er trifft mit seiner scheinbar privaten ’Totenklage’ ins Zentrum des Menschlichen“. So gilt vielen TOTENKLAGE als Helwigs reifstes Werk, als „Krönung seines dichterischen Schaffens“.
     Was immer Helwig geschrieben hat - die meisten seiner Leser rühmen vorrangig seine sprachliche Meisterschaft, seine prägnante, brillante Ausdrucksweise, seine Wortgewalt.

Helwig war die längste Zeit seines Lebens „mehr im Ausland als zu Hause“. „Auch ohne zwingende Gründe, wie sie sich etwa 1933 hinzufanden, wäre ich“ - so Helwig – „im Ausland gewesen.“ „Das Vergnügen, mich in der Welt herumzutreiben, hatte nie den Beigeschmack von Flucht.“ Im Ausland gefragt: „Sind Sie Deutscher?“ war seine Antwort: „Nein, Hamburger“; denn – so Helwig – : „Was für mich Deutschland ist oder sein kann, rückt im Namen dieser Stadt zusammen.“ „So komme ich mir auch bei jedem Besuch ... in Hamburg nicht als der heimkehrende verlorene, sondern der gefundene Sohn vor.“
In seinem Buch AUF DER KNABENFÄHRTE, 1951 erschienen, singt Helwig ein Loblied auf die „hinreißende Lebendigkeit“ dieser Stadt und nennt Hamburg sogar „meine Vaterstadt“.

So darf ich wohl – auch im Sinne von Werner Helwig – für die Einladung nach Hamburg herzlich danken.

Ursula Prause, Mainz, Studiendirektorin i.R.
Nachlassverwalterin und Schwägerin von Werner Helwig





Prof. Dr. Jürgen Reulecke:

Werner Helwigs Ort in der Generationengeschichte
des 20. Jahrhunderts – eine Annäherung

„Wir sind die Gefangenen unseres Moments.
Die Wohnung unseres Hierseins
können wir nicht wechseln.
Die eine Tür ließ uns eintreten,
ungefragt: unsere Geburt.
Die andere nötigt uns hinaus,
ungefragt: unser Tod.
Zwischen beiden
Haben wir ein Stück Zeit verzehrt.
Dies wurde unser Eigentum,
einmal und nie wieder.
Empfinden wir uns also darin
nach Maßgabe unseres Vermögens,
ohne damit zu sparen
oder zu wuchern,
sondern heiter verfügend.“



In Jahreszahlen ausgedrückt, lauten die Inschriften über jenen beiden Türen, von denen Werner Helwig hier in einem seiner schönsten Gedichte (1984) spricht – auf ihn selbst bezogen – 1905 und 1985: Wir nennen inzwischen die um 1905 geborene Altersgruppe „Jahr- hundertgeneration“: Am Anfang dieses irrwitzigen Jahrhunderts ist sie geboren worden, gegen Ende aus der Welt getreten. Die ca. achtzig bis neunzig Lebensjahre dazwischen waren für sie – wie Helwig sagt – die Wohnung ihres Hierseins, mit anderen Worten: ihre „Zeitheimat“, in der jeder der Altersgenossen zwar selbstverständlich sein je eigenes Leben gelebt hat mit einem immer dicker werdenden Erfahrungs- und Erinnerungsrucksack auf dem Buckel, aber dennoch: Wir alle sind ja immer nicht nur Einzelkinder unserer Zeit wie Aber- tausende andere auch, sondern zugleich Mitglieder einer „Generation“, die – so sagen die Generationsforscher – eine durch die jeweilige Zeitgeschichte, in die sie hineingeboren worden sind, unverwechselbare „Generationslagerung“ besitzen. Das heißt: Ob man es will oder nicht, ob man es wahrhaben will oder nicht: In den prägenden Jahren unserer Kindheit und Jugend werden viele mentale Weichen gestellt, die unser weiteres Leben und unseren Marsch durch die Zeit bewusst oder unbewusst bestimmen. Das ist eine zwar triviale, aber immens bedeutsame Feststellung, wie jeder von uns bestätigen kann. Und mit „Gene- rationalität“ ist dann jene spezifische Art und Weise gemeint, wie wir uns selbst (und aus unserem Blickwinkel auch die Anderen) in unsere Zeitheimat hineinstellen und diese mit Sinn versehen: „einmal und nie wieder“!

Werner Helwig, an den wir uns heute anlässlich dieser Ausstellungseröffnung als ganz besonderen Vertreter jener „Jahrhundertgeneration“ erinnern, hat seine Generationalität immer wieder intensiv reflektiert. Und den Satz „einmal und nie wieder“ hat er auch bereits an den Anfang seines eindrucksvollen Buches „Auf der Knabenfährte“ aus dem Jahre 1953 gesetzt, in dem er davon erzählt, wie er als knapp Fünfzigjähriger zum ersten Mal wieder nach vielen Jahren jenen zauberhaften Ort besucht hat, der ihn in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre so immens geprägt hat, nämlich die Nerotherburg Waldeck im Hunsrück.

Werner Helwig, geboren also 1905, - ein Individuum mit faszinierenden Zügen und ebenso faszinierenden Schriften, die viele meiner Altersgruppe (geboren dreißig bis vierzig Jahre später) seit den frühen 1950er Jahren begleitet haben: Gedichte, Romane, Erzählungen und ganz besonders Lieder! Wie passt Helwig in die deutsche Generationengeschichte des frühen 20. Jahrhunderts? Passt er überhaupt hinein, oder ist er bloß ein sperriger Sonderling, ein unverwechselbarer Einzelgänger, ein Solitär? Meine These lautet: Er war in eindrucksvoller Weise beides: ein identifizierbarer Generationsgenosse vieler der um 1905/1910 geborenen Jungen und ein Solitär mit ausgeprägtem Eigensinn!

Ich habe gerade nur von den Jungen gesprochen und die Mädchen unterschlagen. Das hat seinen Grund: Generationengeschichte ohne die ausdrückliche Berücksichtigung der jeweils männlichen oder weiblichen Art von Zeitverortung bleibt oberflächlich! Wenn man Werner Helwig generationell ein wenig zu begreifen versuchen will, dann ist also vor allem das Männliche, das heißt die Wirkung des zeitgenössischen Männerbildes dabei ebenso von entscheidender Bedeutung wie das konkrete, aber auch das allgemeine Vater-Sohn-Verhältnis! Ganz pauschal und ziemlich undifferenziert sei folgendes an den Anfang gestellt: Die männliche Generation, um die es hier geht und zu der Helwig gehörte, gilt als eine in besonderer Weise „verlorene Generation“, als eine „unbehauste“ und intensiv nach Sinn und Heimat suchende Altersgruppe, von der viele ihrer Mitglieder dann später das mittlere Management des „Dritten Reiches“ stellten, z.B. Reinhard Heydrich (geb. 1904), Albert Speer (geb. 1905), Adolf Eichmann (geb. 1906) und Baldur von Schirach (geb. 1907). Diese jungen Männer hatten also ihre geistige Heimat im Nationalsozialismus und in Hitler ihren Übervater gefunden! Aber auch viele der bekannten bündischen Führer wie Eberhard Koebel-tusk (geb. 1907), Karl Otto Paetel (geb. 1906), Rudolf Bree (geb. 1907) und Hans Joachim Schoeps (geb. 1909) gehörten ebenso zu dieser Altersgruppe wie Dietrich Bonhoeffer (geb. 1906) und der Hitler-Attentäter Claus Schenk von Stauffenberg (geb. 1907). Von einem vergleichbaren, gar identischen Lebensweg kann also keine Rede sein, aber vielleicht doch von einer tiefsitzenden Lebensproblematik, auf die man(n) so oder so antworten konnte? Ein Grunderlebnis für viele im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg geborenen Jungen war z.B. am Kriegsende eine aufwühlende Ambivalenzerfahrung, nämlich die Tatsache, dass sie bisher – wie es ihr Altersgenosse Sebastian Haffner (geb. 1907) in seiner Autobiographie beschrieben hat – den Krieg aus dem Blickwinkel der Heimatfront als begeisterndes großes Spiel erlebt hatten, nun aber das massiv deprimierende Kriegsende psychisch bewältigen mussten.



Prof. Dr. Reulecke bei seiner Rede   
Es sollen jetzt zwei Schritte unternommen werden: Zunächst will ich versuchen, mich an so etwas wie die Grundbefindlichkeit der um 1905/1910 Geborenen anzunähern, um dann im abschließenden Schritt Werner Helwig wieder stärker ins Spiel zu bringen. Vorab aber noch ein kurzer Exkurs, um eine Argumen- tationsbasis zu finden: Der amerikanische Psychoana- lytiker Heinz Kohut (geb. 1913 in Wien, dort aufge- wachsen in jugendbewegten Gruppen, später dann als Jude in die USA emigriert) hat einmal die Entstehung des reifen männlichen „Selbst“ mit drei Phasen in Verbindung gebracht, in denen der Heranwachsende seinen „psychischen Sauerstoff“ erhalte, um dann mit einem profilierten Selbst und inneren Geländer durch das weitere Leben zu gehen: zunächst das Erlebnis der Empathie im Kleinkindalter, im  wesentli-


chen mütterlich-weiblich bestimmt, dann das Erlebnis von männlichen Vorbildern und das Kennenlernen von Idealen, die männlich-väterliche „Welterschließung“ also, und schließlich das Erlebnis der Widerspiegelung des Ich in den Anderen bzw. die Fähigkeit, sich in den Anderen zu sehen (= „Selbstgeburt“). Wie wuchsen nun die um 1905 geborenen Jungen angesichts der weit verbreiteten Abwesenheit der Väter auf; welche Chancen hatten sie, ein „reifes Selbst“ zu entwickeln? Das Vaterbild des späten Kaiserreichs, das für sie zunächst noch prägend war, war in erster Linie von Gehorsamkeitserwartung, autoritärer Forderung nach Entwicklung männlich-soldatischer Tugenden, von Härte, männlicher Kraft und Ehre sowie männlichem Stolz bestimmt. In einem „Ratgeber für den guten Ton“ aus dem Jahre 1910 heißt es zum Beispiel: Wie eine deutsche Eiche solle der Mann in den Stürmen der Zeit „seinen Mann“ stehen; der wahre deutsche Mann breche „lieber über die Welt den Hals, als er von ihr den auf richtiger Überzeugung gewurzelten Kopf sich brechen ließe.“ Er müsse „Schierling trinken und in Lava baden können, wenn es (gelte), für andere und für’s Gute zu handeln und zu leiden.“ Und wenn dann ein solcher deutscher Mann selbst Vater war, dann sollte er entsprechend streng und unnachsichtig, „mit seiner ganzen Autorität“ auch seine Söhne erziehen. Viele vor allem Schüler aus bürgerlichen Familien zerbrachen damals an diesem autoritären Klima im Elternhaus und in der Schule; damalige expressionistische Dramen und Romane liefern Beispiele für solches Zerbrechen, aber auch zunehmende Vatermordphantasien. Die Kriegsniederlage, die Revolution von 1918/19, der als „Schmach- friede“ empfundene Friedensschluss von Versailles stellten dann jedoch – und von nun an mehrfach im 20. Jahrhundert – die Rolle der Väter in zum Teil höchst aggressiver Weise auf den Prüfstand. Ein Vorwurf lautete, das schuldhafte Versagen und die Charakterlosigkeit der Väter seien der Grund für diese entehrende Niederlage gewesen. Und parallel dazu prägte damals 1919 ein Wiener Schüler von Sigmund Freud, Paul Federn, erstmalig den Begriff von der „vaterlosen Gesellschaft“: Der Sturz des bisher verehrten Vaterbildes habe die Söhne zu Vaterlosen gemacht und werde sie zu Vatergegnern machen, die sich in Streiks und Straßenkämpfen aufrieben, weil „kein Vater mehr die Seelen der Söhne zu friedlicher Arbeit vereint.“ Allerdings warteten diese desorientierten Söhne – so Federn – nur darauf, dass sich eine geeignete Führerpersönlichkeit finde, die dem Vaterideal entspreche, um sich ihr bedingungslos anzuschließen.

„Der Krieg, das waren unsere Väter“, hieß es dann in einem vielgelesenen Roman von Ernst Gläser; gegen diese Väter musste man jetzt selbst Krieg führen, aber wie? In Eduard Sprangers 1922/23 geschriebenem pädagogischen Standardwerk „Psychologie des Ju- gendalters“ heißt es zum Beispiel (durchaus mit gewisser Sympathie), in der jungen Gene- ration werde jetzt die Idee eines „Jugenddiktators“ diskutiert, „d.h. eines Mannes, der an der Spitze der Jugend die neue Welt heraufführt, wenn die alte endgültig in ihrer Sackgasse gescheitert ist.“ Es entstand nun in der Folgezeit eine Fülle von zugespitzten quasiphilo- sophischen Denkgebäuden als Orientierungsangebote. Eine recht wirksame Lehre lautete zum Beispiel, zu einer anzustrebenden neuen, männerbündisch ausgelebten Männlichkeit könne nur derjenige finden, der sich von den Vätern befreit und die Sphäre der Familie verlassen habe, denn – so der spätere NS-Philosoph Alfred Baeumler – „nicht die Familie ist die Keimzelle des Staates, er wird geschaffen durch die Taten und die Vereinigung freier Männer.“ Wenn der junge Mann nicht dort, nämlich im Männerbund, seinen Platz finde, wo er seine heroischen Kräfte entfalten könne, dann habe „er nur die Wahl, zum nüchternen Geschäftsmann, zum Weiberknecht oder zum versimpelten Familienvater zu werden.“ Mit solchen und ähnlichen „Lehren“ wurden also die Alters- genossen Werner Helwigs in den späten 1920er Jahren traktiert. Wie sollte also damals ein Junge zum Mann werden? Zwei Modelle konkurrierten miteinander: Selbstverständlich wurde weiterhin die traditionelle Auffassung beschworen, dass es in erster Linie die Väter sein sollten, die ihre Söhne mit ihrer ganzen Autorität zu kraftvollen und standhaften Männern erziehen sollten. Daneben traten aber jetzt diverse männerbündische Gruppierungen, die den Vätern diese Rolle nicht mehr zutrauten und sich selbst als Institutionen zur Anerziehung wahrer Männlichkeit anboten. Statt der „bankrotten Väter“ sollte eine neue „Führerjugend“ das Heft in die Hand nehmen, wobei gleichzeitig die Frage zu beantworten war, wer es denn sein sollte, der als Führer der neuen Generation voranschreiten werde. In vielen jugendbewegten Bünden, in den Freikorps und Frontkämpfervereinigungen warben jetzt junge Weltkriegssoldaten, welche die Schützengrabengemeinschaft zum Ideal stilisierten und sich selbst als charis- matische Führer anboten, um Gefolgschaft: von Adolf Hitler und Arthur Mahraun bis hin zu den Führern in der Deutschen Freischar wie Ernst Buske und im Nerother Wandervogel Robert und Karl Oelbermann. Einige dieser Führer drängten mit ständig radikaler werdenden Parolen wie z.B. „Macht Platz, ihr Alten“ in die Politik; andere ver- suchten, mit dem von ihnen gegründeten Jungenbund ein männerbündisches Refugium außerhalb der korrum- pierenden und verweichlichenden Massenzivilisation zu schaffen. Die in der Öffentlichkeit breit propagierten und in heterogener Vielfalt angebotenen Männerbilder dürften damals die meisten der heranwachsenden jungen Männer in irgendeiner Weise angesprochen haben, wobei allerdings zwischen denen, die mit einem konkreten Vater, und jenen, die als Kriegswaisen aufwuchsen – wie schon Zeitgenossen feststellten - , deutliche Unterschiede bestanden: Bei den ersteren stellten die genannten Angebote Ergänzungen oder Korrektive zum eigenen Vatererlebnis dar, bei den anderen, die ganz ohne Vater oder mit gestörten Vaterverhältnissen wie Werner Helwig zurechtkommen mussten, füllten sie jedoch häufig (in jeweils individueller Ausformung) eine Lücke aus, besaßen eine viel weitergehende Orien- tierungsbedeutung und hatten – wie wir heute wissen – deutlich größere lebenslaufprägende Folgen. Um in Form einer Aufzählung das Spektrum generationeller Spezifika der männlichen „Jahrhundertgeneration“ zusammenzufassen: Viele ihrer Mitglieder zeichneten Vaterlosig- keit (in konkreter wie in übertragener Bedeutung), intensive Sinnsuche und Führersehn- sucht, heroische Männerbilder, Bereitschaft zur Flucht nach vorn, aber auch ein Hang zur Melancholie und immer wieder der Willen aus, sich zur Ordnung zu rufen und nicht weich zu sein, weshalb man ihnen äußerliche Kühle, ja Kälte und Härte sowie die Bereitschaft zur Radikalität nachgesagt hat. Hinzu kommt noch eine massive Aversion gegen Formen der Domestizierung durch das weibliche Geschlecht und gegen jede Art väterlicher Anmaßung: eine „unbehauste Generation“ also, d.h. eine Generation in einer Zeitheimat ohne sicheres Haus, aber mit einer tiefsitzenden Sehnsucht danach! Im englischen Kriegsgefangenenlager 1947, also nach dem Zweiten Weltkrieg, hat ein junger Soldat aus dieser Generation einmal eindrucksvoll seine damalige Stimmungslage rückblickend folgendermaßen beschrieben, typisch wohl für viele seiner Altersgenossen: Die Fahne, für die sich zu sterben „verlohne“, habe ihm damals als heilig gegolten; die Spießer habe er verachtet ebenso wie die „klebrige Masse“. Um das daniederliegende Vaterland zu neuen Höhen zu bringen, habe er sich mit seinen Kameraden der Aufgabe verschrieben, eine bessere, eine heroische Zeit herbei- zuführen. Die Stimmungslage in den bündischen Gruppen sei dementsprechend von der Sehnsucht nach Weite, Ferne und von Romantik bestimmt gewesen. Lieder seien dabei nachdrücklich prägend gewesen; wörtlich:
„Wir sangen fröhliche Soldatenlieder oder grobe, schwerfällige Landsknechtsweisen oder solche, die traurig und sehnsüchtig klangen und von denen wir nicht wussten, woher sie stammten, doch bei ihrem Klang weitete sich das Herz schmerzhaft vor Verlangen und Sehnsucht nach der unbekannten Weite.“
Eines dieser sehnsuchtsvollen Lieder, geprägt von intensiver Sinnsuche, hatte zum Beispiel folgenden Text:
„Nacht der großen Wogen, du Nacht, gebär das Licht. Wir kommen hergezogen im schwarzen Spiel der Wogen. Wir sahn das Licht noch nicht.
Auf zu fernen Stranden trieb uns ein Rätselton, dem lauschten unsre Ahnen, es folgten seinem Mahnen die alten Götter schon.
Stürme sind uns Stimmen und Sterne sind uns Bild. Wir wollen Gott gewinnen, was sollen wir beginnen, da uns das Herz so quillt?
Das Lied stammt von dem damals mittzwanzigjährigen Werner Helwig ebenso wie eine große Anzahl weiterer weit verbreiteter Liedtexte, deren Inhalte zwischen Sinn- und Gottsuche, Fernweh und Abenteuerlust, Aufbruchsappell und Bürgerschreck nach dem Motto „Zerreißt des Bürgers Ruhe mit gellenden Fanfaren. Er schnarcht auf seiner Truhe; ihr stürmt in hellen Scharen“ angesiedelt sind. Und während er, an die „alten Säcke“ gerichtet, reimte: „Hau ab, du alter Sack! Geh heim und lasse uns allein! Wir brauchen dich ganz sicher nicht. Auch ohne dich geht’s fürchterlich!“, schuf er gleichzeitig tief melancholische Gedichte und Weisen, die ebenfalls viel gesungen wurden, wie zum Beispiel (aus dem Jahre 1934):
„Ich schaukle meine Müdigkeit und denk, es wär die beste Zeit zum Schlafengehn, zum Schlafengehn.
Ich mach das alte Zelt bereit, such süßes Moos der Üppigkeit. Es ist schon zehn, es ist schon zehn.
Die Sterne stehn im alten Stand. Der Tod hält uns in kalter Hand. Die Freunde gehn, die Freunde gehn.
Die Schnitter mähen nah zu mir, ich aber singe für und für und wills nicht sehn, und wills nicht sehn.
Das Feuer macht die Augen zu und blinzelt mir zur guten Ruh. Die Träume wehn, die Träume wehn.“
Unbehaustheit auch hier, rauschhaftes Erleben und gleichzeitig Vergänglichkeitserfahrung und Melancholie, Suche nach Geborgenheit und zugleich Flucht vor jeder Art von Dome- stizierung! Im Nerother Wandervogel auf Burg Waldeck im Hunsrück entdeckte der vom Vater weggeschickte, der Mutter nach Hamburg gefolgte Helwig in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre dann eine emotionale Heimat, einen intensiven männerbündischen Freun- deskreis unter der Führung der beiden neun Jahre älteren Zwillingsbrüder Robert und Karl Oelbermann, die als junge Leutnants aus dem Krieg in ihre rheinische Heimat zurückge- kommen waren.
Dieser Freundeskreis, schrieb Helwig, sei für jedes seiner Mitglieder ein „Schutzwall (gewesen), darin er sich ungestört selbst entdecken, erfüllen, bewähren durfte“, eine phan- tasievolle und phantasieanregende Insel in einer chaotischen Zeit, ein männerbündisches Angebot zur Lösung der Probleme jener „vaterlosen Gesellschaft“ nach 1918/19 und eine Ausgangsbasis für weitausgreifende Großfahrten von Lappland bis Sizilien im ganz konkreten wie auch im geistig-kulturellen Sinn! Mit vielerlei kürzeren Unterbrechungen lebte der als „Tramp und Taugenichts“, fast wie ein Harlekin zu den Nerothern gekommene junge Feuerkopf rund sieben Jahre lang auf der Waldeck: Es war ein Leben wie eine konkret gelebte Meißnerformel: „aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit!“ Wörtlich Helwig aus der Rückschau:
„Mir hingegen war es beschieden, in sieben Burgjahren abwechselnd Landwirt, Gärtner, Koch und Redakteur der Bundeszeitschrift zu sein. Ich dichtete und komponierte Lieder, die durch die ganze Jugendbewegung gingen, wurde der Hofpoet und Chronist einer der anregendsten Gemeinschaften, die im Schoße des bündischen Geschehens gediehen.“

Seine Unbehaustheit, sein ständiges Auf-Fahrt-Sein wurde dann in der Nazizeit zu einer politisch erzwungenen Vagabundage, die ihn in viele neue Länder brachte, zwischendurch rastlos ständig Gedichte und Romane, Erzählungen, Essays und Rezensionen schreibend – von Island bis Tunesien, immer wieder einmal Capri, dann schließlich in die Schweiz, wo er 1941 Yvonne Germaine heiratete. Freunde sprachen damals ironisch-kritisch von einer Dome- stizierung Helwigs durch die Weiblichkeit – dies nicht zuletzt mit Blick darauf, dass dieser ausgeprägte Männerbündler Helwig in einer Reihe seiner Romane in feinfühliger Weise um den grundsätzlichen Geschlechtergegensatz zwischen Mann und Frau gekreist war und das letztendliche Ausgeliefertsein des Mannes an das Weibliche beschrieben hatte. Trotz der Ehe mit einer Schweizerin wurde er aus der neutralen Schweiz ausgewiesen und zog schließlich mit seiner Frau 1942 nach Liechtenstein, ehe er sich schließlich ab 1951 dann doch in Genf niederlassen durfte, nachdem er eine Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsgenehmigung erhalten hatte. Eine zweite große Schaffensperiode begann, unterbrochen durch Reisen in alle Welt von Japan und Indien durch die Südsee bis nach Südamerika. Erfolge und Preise folgten nun und ein ständig intensiver werdendes ethnologisches Interesse insbesondere an den Stein- zeitkulturen im Mittelmeerraum, wobei die Suche nach der großen Urmutter, wie sie z. B. auf Malta verehrt worden war, eine große Rolle spielte.
Vielleicht hat er wegen dieser Beziehung zu den matriarchalen Ursprüngen der Kultur sich auch gewünscht, auf dem Friedhof in Wormbach bei Schmallenberg im Hochsauerland beerdigt zu werden: einem aus frühgermanischer Zeit stammenden Begräbnisplatz, einem „sauerländischen Stonehenge“, wie dieser Ort etwas übertrieben genannt worden ist!

Generationengeschichte des 20. Jahrhunderts: Diese Geschichte hat zwei kriegsbedingt vaterlose Söhnegenerationen mit entsprechenden Verletzungen ihres „Selbst“ geschaffen: die Kriegskinder des Ersten und die des Zweiten Weltkriegs - vielleicht bestand aus diesem Grund auch eine weitgehende Gleichgerichtetheit zwischen den melancholischen Sinnsuchern und unbehausten Weltfahrern à la Helwig (geboren um 1905) und uns, den in den späten 1940er und in den 1950er Jahren in bündischen Gruppen aufgewachsenen Knaben.

Helwig hat uns jedenfalls einen emotionalen Staffelstab gereicht, den wir dann auf je eigene Weise bei unserem individuellen Lauf quer durch unsere Zeitheimat weiter getragen haben; diesen Stab bieten wir mit dieser Ausstellung nun den nächstfolgenden Generationen an:
- zur neugierigen ironischen Besichtigung vielleicht,
- vielleicht auch bloß zur Belustigung,
- möglicherweise aber auch zur kritischen Selbstprüfung und zudem – hoffentlich -
- als eine kleine nachdrückliche Anregung, sich nach der eigenen Wohnung in der Zeit
zu fragen, denn – um das Helwig-Gedicht vom Anfang meines Vortrags wieder aufzugreifen - :

„Wir sind die Gefangenen unseres Moments.
Die Wohnung unseres Hierseins
können wir nicht wechseln.
Die eine Tür ließ uns eintreten,
ungefragt: unsere Geburt.
Die andere nötigt uns hinaus,
ungefragt: unser Tod.
Zwischen beiden
Haben wir ein Stück Zeit verzehrt.
Dies wurde unser Eigentum,
einmal und nie wieder.
Empfinden wir uns also darin
nach Maßgabe unseres Vermögens,
ohne damit zu sparen
oder zu wuchern,
sondern heiter verfügend.“




Literaturnachweise zum Vortrag von Prof. Dr. J. Reulecke in Hamburg am 17.2.2006

Es werden hier nur einige wenige Angaben gemacht, die unmittelbar im Zusammenhang mit dem Vortrag stehen bzw. sich auf wörtliche Zitate beziehen.

Franz Albrecht: Der Ratgeber für den Guten Ton in jeder Lebenslage, Berlin o.J. (ca. 1910)

Alfred Baeumler: Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934

Richard Bersch: Pathos und Mythos. Studien zum Werk Werner Helwigs mit einem bio-bibliographischen Anhang, Frankfurt/Main u.a. 1992

Paul Federn: Zur Psychologie der Revolution. Die vaterlose Gesellschaft, in: Der öster- reichische Volkswirt, 11.Jg. (1919), S. 571-575 und S. 595-598

Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933, Stuttgart/ München 2000

Werner Helwig: Auf der Knabenfährte, Bad Godesberg 1953

Ders.: Die Blaue Blume des Wandervogels, erw. Neuausgabe, hg. von Walter Sauer, Heidenheim/Brenz 1980 (darin bes. Kap. „Auf der Suche nach neuen Leitbildern“, S. 169-172)

Ders.: Carmina Nerothana, Heidenheim/Brenz 1983

Ders.: Gedichte, ausgewählt von Gerda Helwig, hg. von Ursula Prause, Bd. 1: 1970-1984, Bd. 2: 1920-1960, Mainz 2000/2002

Heinz Kohut: Die Heilung des Selbst, Frankfurt/Main 1979

Stefan Krolle: Bündische Umtriebe, 2. Aufl. Münster 1986 (1. Aufl. 1985)

Muschelhaufen 45 (2005), hg. von Erik Martin, mit dem Sonderteil „Werner Helwig zum 100. Geburtstag“ (S. 7-53 und S. 208-210)

Jürgen Reulecke: „Ich möchte einer werden so wie die...“. Männerbünde im 20. Jahr- hundert, Frankfurt/Main 2001

Ders. (zusammen mit Hartmut Radebold und Hermann Schulz): Söhne ohne Väter. Erfah- rungen der Kriegsgeneration, Berlin 2004

Hotte Schneider: Die Waldeck von 1911 bis heute. Lieder, Fahrten, Abenteuer, Potsdam 2005

Eduard Spranger: Psychologie des Jugendalters, 23. Aufl. Heidelberg 1953 (1. Aufl. 1924)

Barbara Stambolis: Mythos Jugend - Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert (= Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung, Bd. 11), Schwalbach/Ts. 2003



15.12.05

WERNER HELWIG IN HAMBURG


Ein vergessener Schriftsteller, Dichter und Liedermacher in Hamburg

„Auf den Spuren eines vergessenen Dichters“

Vom 17. Februar – 31. März 2006 wird am Hamburger „Gymnasium am Kaiser-Friedrich-Ufer“ (KaiFu) – Kaiser-Friedrich-Ufer 6, Hamburg-Eimsbüttel eine AUSSTELLUNG ÜBER LEBEN UND WERK VON WERNER HELWIG zu sehen sein.
Die Ausstellung war anlässlich des 100. Geburtstages von Werner Helwig (14. Januar 2005) bereits in der Universitätsbibliothek in Basel zu sehen und in Teilen am Gymnasium in Schmallenberg/Sauerland. Die Ausstellung in Hamburg entspricht im Wesentlichen der in Basel präsentierten, zeigt jedoch verstärkt Helwigs Beziehungen zu Hamburg, insbesondere seine Beziehung zu Hans Henny Jahnn, dem berühmten Schüler des KaiFu.

Dauer der Ausstellung:
17. Februar bis 31. März 2006 außer in den Ferien vom 6. bis 18. März 2006


Öffnungszeiten:
täglich Montag bis Freitag von 10 – 17 Uhr, Samstag, 18. Februar 2006, von 11 – 17 Uhr
sonst samstags geschlossen


Am 17. Februar 2006, dem Eröffnungstag der Ausstellung, wird es vormittags eine schulinterne Veranstaltung und eine öffentliche Abendveranstaltung mit Liedvorträgen, Referaten und Lesungen geben.

Öffentliche Abendveranstaltung
Beginn: 19.30 Uhr
Themen der Referate:
    ⇒  Werner Helwigs Ort in einer Generationengeschichte des 20. Jahrhunderts.
         Eine Annäherung (Prof. Jürgen Reulecke, Gießen)
    ⇒  Werner Helwig – ein zurückgekehrter Sohn der Stadt Hamburg.
         Sein Leben und Werk vor dem Hintergrund der Ausstellung (Ursula Prause, Mainz)
Lesungen:
    ⇒  Schauspielerin Katinka Springborn, Hamburg
Liedvorträge:
    ⇒  „Bömmes“ (Hans-Dietrich Mohr, Schwelm/Nordrhein-Westfalen)

Hai & Topsy Frankl werden als Gäste aus Stockholm kommen.

Weitere Auskünfte erteilt: Helmut Steckel, Hamburg
Tel.     040 - 479347
Mobil   0610 - 5526356



21.11.05

RÜCKBLICK AUF EINE VERANSTALTUNG ZUM THEMA "Werner Helwig"

Am Sonntag, den 16. Oktober 2005, fand eine Veranstaltung zum Thema
"Werner Helwig" auf   Burg Ludwigstein  statt.
Hierzu - mit freundlicher Genehmigung des Autors - ein Beitrag von puk (Ruben Zarate, Weimar - Wandervogel Greifenritter)

Beleidige die Stunde nicht, die dich leben sieht

Literarisches Burgcafé auf Burg Ludwigstein

Das dritte literarische Burgcafé auf der Jugendburg Ludwigstein bei Witzenhausen stand ganz im Zeichen Werner Helwigs.

Eine Veranstaltung, die sich mit einer Persönlichkeit wie der Werner Helwigs befaßt, läuft immer Gefahr, am Ende eine Antwort geben zu wollen. Über Helwig ist schon viel geschrieben und gesagt worden, keiner weiß, wieviel davon an die Wahrheit, wieviel an ihr Gegenteil heranreicht. Um der Versuchung zu entgehen, selbst eine Wahrheit über Helwig verbreiten zu wollen, blieben wir nah an seinen Texten, sprich wir nahmen den Dichter beim Wort; was bei Helwig stets einen besonderen Genuß bedeutet. Den Rahmen bildete seine Biographie, gespickt mit autobiographischen Skizzen.
Anliegen war es, Hinweise zu geben und den Besucher mit möglichst vielen Fragen auf den Heimweg zu entlassen, so daß jeder aufgefordert war, nach seiner eigenen Wahrheit in den Texten Helwigs zu forschen.

„Wir suchen im Schriftsteller den Freund, mit dem wir Intimstes austauschen. Wir wünschen ihn, mehr als in ausgerundeten Romanen mit gestellten Kulissen, in Tagebüchern und Briefen über seinem mystischen Eigentum, im Zentrum dieses Eigentums anzutreffen und dort, in diesen Bezirken, Signale mit ihm zu tauschen, in denen er sich, wir uns, endgültig und vorbehaltlos zu erkennen geben. Das ist hilfreich. Das führt uns in brüderlicher Vereinigung durch die zermalmenden Gewalten der Gegenwart.“1

Da die HELLAS-TRILOGIE2 in den meisten Fällen den Zugang zu Helwigs Werk eröffnet, stand sie im Mittelpunkt des ersten Teils der Veranstaltung und hier natürlich besonders die RAUBFISCHER.

Der zweite Teil befaßte sich speziell mit Helwigs Texten, die einen Bezug zur Jugend- bewegung, einen jugendbewegten Hintergrund aufweisen oder sich zum Vorlesen in den Gruppen eignen.
Gelesen wurde aus der BIENENBARKE3, natürlich aus der KNABENFÄHRTE sowie aus den Janni-Geschichten4. Außerdem weitere autobiographische Skizzen5.

Einen besonderen Zugang zu Helwig stellen auch seine Lieder dar. Einige wurden, wenn auch etwas zaghaft, gemeinsam gesungen.

Zum Schluß lag Helwigs Leben ausgebreitet vor uns und wir konnten erahnen, von welcher Drangsal, aber auch von welcher Lebensfreude es geprägt gewesen sein mag.
Ernsthaftigkeit und Schalk zugleich lachen uns aus seinen Texten und Liedern an und mahnen uns zur >Inneren Wahrhaftigkeit<, zu jener moralischen Pflicht, die sich die Jugendbe- wegung, als deren bedeutendster literarischer Vertreter Werner Helwig (Mitglied im Nerother Wandervogel) gilt, Anfang des letzten Jahrhunderts selbst auferlegt hat.

In seinem „offenen Brief an die bündische deutsche Jugend“6 bringt er es auf folgende Formel: „Gäbe es eine Fahne, auf die ich einen Spruch zu heften hätte, wäre er dieser: Beleidige die Stunde nicht, die dich leben sieht.“

1Auf der Knabenfährte, 1951, S. 188f
2Raubfischer in Hellas, 1939; Im Dickicht des Pelion, 1941; Reise ohne Heimkehr, 1953
3Lehrstuhl für Vagabondage, in: Die Bienenbarke, Weltfahrten nach außen und innen, 1953
4... und Janni lacht!, 1961
5Wie Helwig zu den Nerothern kam, Eisbrecher, Juli 1975, S. 281; Knabenfährte, S. 121f, S. 15f, S. 225f
6Das Lagerfeuer, H. 22, 1953, S. 327




14.10.05

RÜCKBLICK AUF DIE GEDENKVERANSTALTUNGEN IM SAUERLAND

Der literarisch-biographische Abend in der Aula des Städtischen Gymnasiums von Schmal- lenberg wurde musikalisch eröffnet von Hai & Topsy. Hai (Heinrich Frankl) und seine Ehefrau Topsy, von weltweiten Tourneen bekannt, enge Freunde von Werner Helwig und beste Interpreten seiner Lieder, waren aus Schweden angereist und trugen - begleitet von der Schwedin Mirjam - einige Brecht-Helwig-Lieder vor, darunter „Weil unser Land zerfressen ist“, das erste Lied, das Helwig 1933 Hai beigebracht hatte.

Hai, Topsy und Mirjam bei ihrem 
Auftritt während der Werner Helwig - 
Gedenkveranstaltung am 
23.09.05 in Schmallenberg

Im Folgenden wurde dann der Schriftsteller und Dichter Werner Helwig, seine facettenreiche Persönlichkeit und sein vielgestaltiges und vielschichtiges Werk, vorgestellt (Referat: Ursula Prause) und die romantische Geschichte verdeutlicht, wie Helwig ins Sauerland kam. Auftakt: ein Schülerzeitungsartikel über Werner Helwig, der 1957 von Gerda Heimes, einer 15-jährigen Schülerin des Schmallenberger Gymnasiums, verfasst worden war (Lesung durch einen Schüler), und dann über 20 Jahre später, 1981, die Heirat von Werner und Gerda Helwig. Eines von vielen Gedichten „für Gerda“ (Schülervortrag) und Helwig-Lieder der romantischen Art (Vortrag durch eine Gesangsgruppe des Gymnasiums) schlossen sich an.

Von Helwigs Werken kam auch eine seiner zahlreichen Erzählungen, KRONE DER SCHÖPFUNG, zum Vortrag; vor allem aber der Roman RAUBFISCHER IN HELLAS, durch den Helwig 1939 bekannt wurde und der in vielen Neuauflagen und Übersetzungen erschienen ist. Peter Londzek, Schauspieler in Berlin und Synchronsprecher, ehemaliger Schüler des Gymnasiums, las zentrale Passagen aus diesem Roman, Manfred Raffenberg sprach die zum Verständnis notwendigen Zwischentexte. Der Abend klang aus mit Helwigs Gedicht DAS KOMMT DAVON (Peter Londzek) und musikalisch mit dem Lied GEGEN VERFÜHRUNG (Gesangsgruppe des Gymnasiums).



Aula des Gymnasiums mit
Ausstellungsbesuchern
während der Werner Helwig - 
Gedenkveranstaltung am 
23.09.05 in Schmallenberg


Die Ausstellung
zu Leben und Werk von Werner Helwig, im Rahmen des literarisch-biographischen Abends eröffnet, fand großes Interesse.




Ein Element der Ausstellung:

Die Helwig-Bibliothek


bestehend aus über 50 Whisky- und Käsekistenregalen, randvoll bestückt mit "ganz unentbehrlich gewordenen" Büchern und Dingen, die ihm lieb und wert waren.

Ein Element der Helwig - Bibliothek 
in der Ausstellung während der 
Werner Helwig - 
Gedenkveranstaltung am 
23.09.05 in Schmallenberg


Herr OStD Otto beim Besuch der
Ausstellung  während 
der Werner Helwig -
Gedenkveranstaltung am 
23.09.05 in Schmallenberg

Schulleiter OStD. Otto an Ursula und Ulrich Prause: „Dank für die Mühe und den Einsatz, mit dem Sie auch unseren Schülern Werner Helwig nähergebracht haben. Die vielseitigen, auch anschaulichen, detailreichen Exponate haben fast jedem Betrachter Anregungen gebracht. Auch jüngere Schülerinnen und Schüler (...) haben Entdeckungen gemacht, die sie beeindruckt haben.“

              

Die Veranstaltung in der alten Pfarrkirche zu Wormbach fand „in memoriam Gerda Helwig“ statt und bot Orgelimprovisationen von Ulrich Schauerte zu Texten von Werner Helwig, vorgetragen von Marlies Kevecordes/Schauerte und Wolfgang Pelzer. Zum Vortrag kamen einige der wertvollsten Gedichte aus Helwigs letzten Lebensjahren, ein Textauszug aus dem Roman TOTENKLAGE, der vielen als Helwigs reifstes Werk gilt, als „Krönung seines dichterischen Schaffens“, aber auch kleine Texte aus WALDREGENWORTE/GROTTEN- SPRÜCHE/IM DÜNENSCHUTT DER STUNDEN – von Helwig als sein eigentliches Lebenswerk angesehen.
              
Ursula Prause



18.09.05

Vorgezogener Ausstellungsstart

Die bereits früher (siehe 20.02.05) angekündigte
Ausstellung zu "Leben und Werk Werner Helwigs" am 23. Sept. 2005 in Schmallenberg kann bereits ab 18.30 Uhr besichtigt werden. (Eröffnung durch den Bürgermeister der Stadt Schmallenberg, Bernhard Halbe)

Diese Ausstellung ist nicht identisch mit der im Frühjahr in der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel gezeigten Ausstellung. Wegen der veränderten Rahmenbedingungen - Veranstaltungsort und Räumlichkeiten - waren Kürzungen und Akzentverschiebungen erforderlich. So ist nicht Helwigs Beziehung zur Schweiz, sondern Helwigs Beziehung zum Sauerland ein Schwerpunkt der Ausstellung.
Die Ausstellung kann bis zum 30. Sept. 2005 täglich in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:00 Uhr besichtigt werden.

Das Ausstellungsmaterial stammt fast ausschließlich aus dem Nachlass von Werner Helwig. Nach seinem Tod ging er in den Besitz seiner Frau Gerda Helwig, meiner Schwester, über und nach deren Tod 1998 auf mich.





20.02.05
Neu: weitere Veranstaltungen zum Gedenken an Werner Helwig
Zum Gedenken an Werner Helwig, begraben in Wormbach bei Schmallenberg im Sauerland, werden in einem Gemeinschaftsprogramm der CHRISTINE KOCH GESELLSCHAFT e. V. ZUR FÖRDERUNG DER LITERATUR IM SAUERLAND, des Städtischen Gymnasiums Schmallenberg und des Kammerchores Schmallenberg drei Veranstaltungen stattfinden.

Freitag, den 23. September 2005, in Schmallenberg
in der Aula des Schulzentrums, Obringhauser Straße
11.30 Uhr, Schulveranstaltung
19.30 – 21.30 Uhr, öffentliche Veranstaltung
       Werner Helwig – Schriftsteller und Liedermacher
       Literarisch-biographischer Abend

Samstag, den 24. September 2005, in Wormbach
in der Pfarrkirche St. Peter und Paul
19.30 – 21.00 Uhr
       Orgelimprovisationen zu Texten von Werner Helwig

Zugleich wird eine Ausstellung zu „Leben und Werk Werner Helwigs“ zu sehen sein.
(Teil der Ausstellung, die vom 14. Januar bis zum 23. April 2005 in der Universitäts- bibliothek Basel zu sehen war).




05.05.05
Hai & Topsy (Heinrich Frankl und seine Frau Gunnel, Weggefährten und Freunde von Werner Helwig), werden aus Schweden anreisen und in der Abendveranstaltung am 23.09.05 aus ihrem umfangreichen folkloristischen Liederrepertoire einige Lieder von Werner Helwig vortragen.


07.08.05
Zu den Veranstaltungen schrieb Manfred Raffenberg in:
SAUERLAND. Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes Nr. 4 / 2004 (Auszug):


Werner Helwig ist in seinem langen Leben weit in der ganzen Welt herumgekommen. Nach seiner Flucht aus Deutschland am 30. Januar 1933 führte ihn sein Weg schließlich in die Schweiz, aus der er jedoch wegen Verstoßes gegen das damals dort für Ausländer geltende Schreibverbot ausgewiesen wurde. Inzwischen mit der Welsch-Schweizerin Yvonne Germaine Diem verheiratet und Vater zweier Söhne, lebte er von 1942 - 1949 im Exil im Fürstentum Liechtenstein, um dann in die Schweiz zurückzukehren, wo er bis zu seinem Tode (4. 2. 1985) nahe bei Genf seßhaft war.
Wie Werner Helwig den Weg aus der Schweiz ins Sauerland gefunden hat, ist von seiner zweiten Frau, einer Tochter des Schmallenberger Land- arztes Dr. Hermann Heimes, in ihrem „Brief aus Genf“ („SAUERLAND“ 1985/3) geschildert worden. Es ist dies eine rührende Geschichte, wenn man bedenkt, wie sich die Untersekundanerin Gerda Heimes 1957 in der „Brücke“, der Schülerzeitung des damaligen Staatlichen Aufbaugymnasiums Schmallenberg, für einen Schriftststeller be- geistert, den sie 24 Jahre später, nach dem Tod seiner ersten Frau, heiraten sollte. Rückblickend klingt es ja wie eine frühe Liebeserklärung, wenn sie als junges Mädchen schreibt:
„Vielleicht  wirst  du   Werner   Helwig   einmal   als Freund  kennenlernen,  vielleicht dann, wenn du ihn

neben dir spürst und wenn er dir sagt: >... dem Dasein das Schönste abgewinnen: die Freude<“. „So  begann  es“,  bekennt  sie dann auch in dem o. g. Brief.
Nun liegt Werner Helwig in Wormbach begraben, ganz nahe dem Heimatort seiner Frau Gerda. Dafür gibt es aber wohl nicht nur persönliche Gründe, sondern auch solche, die aus dem Fühlen, Denken, Wissen und Schaffen des Autors erwachsen sein müssen. Dr. Richard Bersch hat sicher recht, wenn er in seinem Essay „Vorzeit und Gegenwart. Wormbach und der Dichter Werner Helwig“ dessen frühe Vorliebe für „Kult- und Wohnstätten der steinzeitlichen Megalithkultur und der Bronzezeit“ hervorhebt und sie in Verbindung bringt mit dem Interesse an der wissenschaftlichen Mythenfor- schung. „So fügten sich Studium und Anschauung in seinen Romanen zu Landschaften und Räumen, die ebensoviel über die Gegenwart wie über die Vergangenheit mitteilen und zugleich Räume der Natur und solche der Seele sind... In Wormbach hat Helwig einen Raum gefunden, wie er ihn in seinen Romanen beschrieben hat. Daß er hier in Fort- führung einer langen Tradition begraben sein wollte, zeugt von der Wahrhaftigkeit der in seinen Büchern mitgeteilten Wirklichkeiten“ („SAUER- LAND“ 91/3, S. 89).



R ü c k b l i c k   a u f   d i e   A u s s t e l l u n g   i n   B a s e l


05.05.05
Stimmen zur Ausstellung

(Beim Überfahren der Grafiken mit der Maus wird ein Alternativ-Text angezeigt.)



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Die andere Sicht der Dinge
von außen - von innen,
selbst betrachtet und durchlebt,
sprachgewaltig weitergegeben,
	das ist Werner Helwig für mich.
	Dank an Ursula Prause für
	die Erinnerung an Werner Helwig
		Helmut Bock

Aufbruch - Ausbruch - Weltoffenheit ...
Ich verdanke Helwig viel!
Danke		M. Gansterer
				Wien



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Ein Horridoh von Burg Balduinstein.
			costa

Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geb.
lieber Hussa. Was wäre aus mir geworden ohne
Dich. Dank und ewiges Gedenken
	Prof. Karl-Heinz Böttner, Köln, Wiesbaden
Auch H.A. Stempel läßt grüßen, dein alter Kamerad

17.1.05

Eine sehr schöne Ausstellung!
			(???)
		18/1/05



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Sehr interressant!
	Albrecht (???) Richen
20012005

EINFACH NUR
GUT!
	A. Daske (?)

Wie schön, dass sie sich immer
wieder fast schon Vergessener
annehmen. Dank für eine sehr
berührende Ausstellung!
		T. Just-Matt
19.1.05

Gut! 20/1 2005 (???)

					24.2.
Die Schwierigkeit, Literatur auszustellen, schön gelöst.
Lutz Wiedhifel (?)



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Sehens-, vor allem lesenswerte
Ausstellung!
			Rotan u. Vreni Kepper

Vielen Dank für diese umfassende Ausstellung
über Werner Helwig. Ich lernte ihn 1951/52 auf
Schloss Waldeck im Hunsrück kennen. Mein Vater
- Wilhelm Pferdekamp - war einer seiner Wandervögel-
Freunde und auch Schriftsteller-Kollege. Leider habe
ich ihn hier in den Vitrinen nich gefunden. Gefreut
hat mich die Erinnerung an Werner Helwig dennoch!
		Danke
		Renate Gyalog-Pferdekamp 
				Liestal



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

15. und 16. Februar 2005

1961 als Nerother allein auf den 
Spuren der Raubfischer im Pelion ...
und immer wieder auf Fahrt ...
im Hunsrück die Heimat in der
Gebordenheit der Waldeck gefunden,
ein Bund der Freundschaft,
im bündischen und internationalen
Liedgut ... läßt mich diese
Ausstellung Wege suchen auf
Waldeck, vielleicht im alten Mohrihaus,
einen Ort (Raum) für die Begegnung
mit Werner Helwig zu finden, für
Alte und Junge.
		Wolf Hartmut Kupfer
		Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck
			ABW

Vielen Dank für
die beeindruckende Ausstellung
an Ursula Prause



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

"Er war vom Geist, der nach sich gesetzte
		Sterne schuf." (nach Däubler)

Vielen, Vielen, Vielen, Vielen, Vielen
			Dank
dieser ausgezeichneten Würdigung eines inspirierenden
Ausnahme-Menschen.

Nördlich der Schweizer Grenze hat man ihm nichts
Ähnliches zukommen lassen.
Selbst in einer renomierten Buchhandlung an 
Helwigs Geburtsstadt Berlin-Friedenau konnte oder
wollte man sich seiner nicht erinnern.
			Kretschmer, Berlin 3/05



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Was für ein reiches Leben -
mit der angemessenen Vielfalt
aufgeblättert! Eine Überraschung!
				M.B.

Spannende und aufschlussreiche Ausstellung. 16.3.05
				V.B.

Ich muss gestehen: eine Bildungslücke entdeckt.
Ein interessanter Mensch, tut auch unserer Zeit gut!
17.03.2005				A. Ru.

Eine anregende, inspirierende
Ausstellung - Danke  SK



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Ich freue mich sehr (...) fast jeden Tag darüber,
dass sich immer mal wieder interressierte Leute 
vornüber gebeugt in die Vitrinen vertiefen.
Eine sehr gelungene und gut rezipierte Ausstellung,
das kann man jetzt schon sagen.
Christoph Ballmer, lic. phil. Universität Basel 21.März 2005



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

den 2. April 2005
J. Reieke (Schweden - Basel):
Die Wandervögel aus Deutschland waren in meiner frühen
Kindheit zu Besuch bei meiner der deutschen Sprache
unmächtige Familie im nördlichsten Schweden. Die Aus-
stellung über W. Helwig hat das Bild dieser Besucher
aus dem schiefen Licht gerückt, worin sie durch
meine spätere Erfahrung vom " Deutschen Reich" von 1933. 
Danke für dieses Bild eines wahren Europäers! J. Reieke

Wunderbare Ausstellung,
beeindruckende Persönlichkeit,
Schade, daß er in Vergessenheit
geraten ist
13.4.05 Lesegesellschaft Lörrach
(???)			Frank Nagel
Christine Nagel		(???)
			Flörian Nantscheff



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Eine wilde Stätte zwischen
uferlosen Wäldern & fremden
Göttern, das alles in einem Kopf
eines Spontanpoeten, der seinen
Rhythmus im Wiegen der Grashalme
fand - wohl einer der letzten
Natur-Poeten ohne Studium &
ohne Ritterschlag vom Doktor-Vater.
		Irgendwie beeindruckt & 
		verwirrt zugleich
		Dieter Kalka
		Leipzig
16. April 05
  
Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Die Werke von Werner Helwig bleiben auch
weiterhin in der Jugendbewegung lebendig.
Ostern 2004 und 2005 schlugen wir uns auf 
den Spuren seiner "Raubfischer" durch das Dickicht
des wilden Pelion. Danke für diese gelungene
Ausstellung.
Deutsche Freischar
Bukanier Ring Neustadt (Weinstraße)
				Kohli    14.04.2005

Wie schade, dass wir uns "damals" nur
"umkreist" haben und uns erst in dieser
so wunderbaren und mit Herzblut "ge-
schriebenen" Ausstellung richtig begegnet
sind, d.h. ich ihm. Und nun wird
auch das so konkret bald nicht mehr mög-
lich sein ausser in "gemeinsamen" Erinne-
rungen: Lappland, Torne Träsk, Nordlich-
ter und und und... Vielen Dank, Ursula
Prause. Wie Sie sehen, bin ich wieder gekommen!
	Klaus Th. Guenther N 14.4.2005
	(ehem. Kanzler des Ordens der Seeräuber)



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

		EINE SEHR SCHÖNE AUSSTELLUNG!
		Herbert Swoboda
			Swobl

Gisela Möller-Pantleon    16.4.05
	Klaus P. Möller	

				18.IV.'05
Der Mensch Werner Helwig ist durch diese Ausstellung für mich noch
wichtiger und klarer zu erkennen geworden.
Sein bewegendes Leben liegt hier aufgeblättert vor uns und läßt einen
glücklich gedenken. Auch konnte ich viel Neues entdecken, was mir die
Zeit meines Rücktramps verkürzen wird.
	Vielen Dank
		(???)
  
eMail zur Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Liebe Frau Prause,
 
Sie haben uns Helwigs Leben und Dichten in seiner 
Fülle nahegebracht und uns angeregt, seine Werke - 
wieder oder auch zum ersten Mal - in die Hand zu 
nehmen. Dafür gilt Ihnen und Ihrem Gatten unsere 
Anerkennung und unser Dank.
 
Wir verstehen nun auch die Schwierigkeiten, die 
Gerda Helwig mit dem Verfassen einer Biografie 
hatte: Das Problem ist nicht ein Mangel, sondern 
die Fülle an Material und die Kompexität der Per-
sönlichkeit Helwigs.
 
Wir wünschen Ihnen auch weiterhin viel Kraft zur 
Ausführung Ihres schönen Projekts
und grüßen Sie herzlich

Ihre Gisela Möller-Pantleon 
und Klaus Peter Möller



Gästebuchseite der Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Welch eine Fülle			22. April 2005
eines Lebens
auf der Suche		Horst Schaumann,
nach Erfüllung		Ehrenpraeses der
			Markusjungenschaft
			Karlsruhe
			Ursula Schaumann


Ich freue mich, daß es diese Retrospektive
von Werner Helwig gibt. Vielen Dank!
		Helmut Steckel, Hamburg 
23.4.05 		ehemals Bund deutscher Jungenschaften

23.4.05	Für meinen alten Nerother-Vater bin 
	ich noch schnell vorbeigekommen
	und habe Vieles gefunden (auch
	zum Thema NS- und Schuld)
	Danke	Bettina Brand-Clawsen



14.01.05
Die Ausstellung zum 100. Geburtstag von Werner Helwig in der Universitätsbibliothek Basel zeigt Leben und Werk des Schriftstellers und Dichters, der - obwohl literarischer Außenseiter - ein umfangreiches, vielgestaltiges, lesens- und bedenkenswertes Werk geschaffen hat.
Die Ausstellung ist vom 15.01.05 bis zum 23.04.05 zu sehen.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors zitieren wir aus der "Basler Zeitung"

   
Simmen zur Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Signet der Basler Zeitung
        baz | 4. Februar 2005 | Seite 5
Weltenbummler und Widergänger
Eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel zum
100. Geburtstag des Schriftstellers und Wandervogels Werner Helwig

EWALD BILLERBECK
>  HOMMAGE   an   einen   fast   Ver- gessenen:     In    der    Unibibliothek
ist    der     literarische   Aussenseiter
und        Weltenbummler       Werner
Helwig zu entdecken.

       Er     reiste     viel      und    schrieb
immer.    Werner     Helwig,     1905    in
Berlin   geboren    und    1985    in   Genf
gestorben,     setzte     seine     Reiseein-
drücke       aus       Skandinavien       und
Island,   aus   Sizilien,    Capri   und   ins-
besondere    Griechenland    in    zahlrei-
chen   Romanen    und   anderen    litera-
rischen     Formen    um.     Er     schrieb
Gedichte        und         Nachdichtungen,
war   fleissiger    Essayist   (unter  ande-
rem  auch   in   den   « Basler  Nachrich-
ten »    und    der  « National-Zeitung »),
er war auch Liedermacher.


EXISTENZKAMPF.     Das     Verzeichnis
seiner   Werke   umfasst   über   sechzig
Titel    -   ein   Produktiver   unter   den
Schriftstellern.    Doch    Helwig    gehört
auch   zu   jenen,   die   nur   mit   einem
einzigen      Werk     wirklich      bekannt
wurden.    Sein     Roman   « Raubfischer
in   Hellas »   (1939)   handelt   von  Grie-
chen,   die    in    ihrem    Existenzkampf
mit    Dynamit   fischen.    Mensch    und
Natur  in  der  Bedrohung  ist   bei   Hel-
wig    eine    zentrale    Thematik.     Der
Roman    wurde    mehrfach    neu    auf-
gelegt,   übersetzt    und,   zur    Liebes-
geschichte       umfunktioniert,         mit
Maria  Schell  (schlecht)  verfilmt.
       In   ihrer   Reihe   über   vergessene
Schriftsteller    des    20.    Jahrhunderts
widmet      die      Universitätsbibliothek
Basel     Helwig    eine    Ausstellung    aus
seinem     Nachlass.      Sie     heisst     in Anlehnung      an       einen      Romantitel


« Der  Widergänger »  und  verweist   so
auf    den    literarischen    Aussenseiter,
der    ohne    abgeschlossene     Schulaus-
bildung     seine      musischen     Talente
pflegte      und      sich      die     Bildung
«zusammenräuberte».
       Ursula     Prause,    die    Schwester
von   Helwigs   zweiter   Frau,   hat   die
Ausstellung   zu   seinem  100.   Geburts-
tag  für  die  UB  konzipiert.   Sie  führt
ins    umfangreiche    Werk   aus   einem
abenteuerlichen      Leben,      dokumen-
tiert   durch   Erstausgaben    und   Neu-
auflagen      seiner      Bücher,      durch
Manuskripte,       Fotos,      Tagebücher
und    vieles    mehr.    Einzelveröffentli-
chungen        und         Korrespondenzen
bezeugen    Vorbilder    wie     Bekannt-
schaften:     Hamsun,     Rilke,     Joyce,
Hesse,   die   Manns,   Jahnn.

HABSELIGKEITEN.    Persönliche    Din-
ge   aus   Helwigs   Bibliothek   und   der
Reiseausstattung        ergänzen        das
Schrifttum,     ein    Hörturrn    präsen-
tiert  einige   seiner  Lieder  und  seiner
Brecht-Vertonungen.      Von      Vitrine
zu   Vitrine  begibt  man  sich  auf  eine
Reise   zu   den   Stationen,   aus   denen
er    literarisch    schöpfte:    Sizilien   -
Paradies   und   Hölle,   Capri   -   magi-
sche   Insel,   Griechenland   mit   seinen
mythischen   Hintergründen.
       Helwig     war     früh     von     der
Jugendbewegung               Wandervogel
beeinflusst.     Viele   Jahre     vagabun-
dierte   er   durch  Europa,    zeitweise
lebte  er  auf  Burg  Waldeck  im  Huns-
rück,    dem    Wandervogel - Zentrum.
1933   emigrierte   er    zunächst   nach
Griechenland     und     Italien.      Dann
kam     er    vor   dem   Krieg    in   die



Schweiz,   musste   diese   jedoch   1942
wegen   Verstosses   gegen    das   Publi-
kationsverbot   wieder    verlassen.    Er
lebte    mit   seiner   Familie   in   Liech-
tenstein    unter   schwierigen   Verhält-
nissen,   bis   er   1950   in  die  Schweiz
zurückkehren   konnte.

WORTBESESSENHEIT.     Helwig     ver-
brachte     seine    zweite    Lebenshälfte
in   Genf   -    wenn    er   nicht   gerade
unterwegs    war,    Material    sammelte
und  schrieb.   In  die  Genfer  Zeit  fällt
auch   die   Mehrzahl   der   Veröffentli-
chungen.    Er   war   ein   Wortbesesse-
ner.   Was   geschieht,   habe   nur   den
Sinn,   Sprache   zu   werden,    notierte
er   einmal.     Und   sein   Freund    Hans
Henny   Jahnn   schrieb:  « Er   schmeckt
die     Worte,      zerkaut      sie       und
schmeckt   sie. »
       Nicht   nur   Helwigs   Lyrik,     auch
seine    Prosa    ist    kunstvoll   rhythmi-
siert;   er  suchte  das  Magische  in  der
Sprache.      Er    war    unkonventionell,
schwierig,      kritisch    und    selbstkri-
tisch;    immer   im   « Gegenwind »   zu
den   anderen,    wie   er   selbst   sagte
und     wie      einer      seiner      Hellas-
Romane   heisst.   Jean   Améry   nannte
ihn     einen     aus     einer    verlorenen
Generation;      in     Helwigs      eigenen
Worten:     « Zwischen    den    Kriegen,
zwischen     den     Stühlen,      zwischen
den   politischen   Parteien. »  Die   Aus-
stellung       veranschaulicht        zusam-
men    mit   einem   Begleitheft   Vielfäl-
tiges   und    Spannendes    aus    diesem
ruhelosen   Dichterleben.

> «Der Widergänger». UB Basel.  Die Ausstellung dauert bis   zum  23.  April.


Simmen zur Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Basler Zeitung, Ewald Billerbeck: Weltenbummler und Widergänger
Werner Helwig (1905-1985) fand in Genf seine zweite Heimat 
Foto Roland Schmid: Bewegte Jugend, bewegendes Werk.






  Mit freundlicher Genehmigung des Verlages zitieren wir aus der  "Basellandschaftliche Zeitung"

Simmen zur Werner Helwig - Ausstellung in Basel

Signet der Basellandschaftliche Zeitung
 vom 17.01.2005:
Ein literarischer Aussenseiter
UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK /Eine exzellent gestaltete Ausstellung ist dem vor 100 Jahren in Berlin geborenen Werner Helwig gewidmet. Er gehört in die Reihe von fast vergessenen Dichtern und Schriftstellern.
VON  PAUL   S  C  H  O  R  N  O

BASEL. Sie hatte sich nicht verirrt, die Gruppe von Sängerinnen und Sängern, die zu Beginn einer Vernissage in der öffentlichen Bibliothek der Universität Basel am Freitagabend Fahrtenlieder sang.
    Ganz genau vor 100 Jahren wurde in Berlin Werner Helwig geboren, der unter anderem einige Jahre ein stark von der Jugendbewegung geprägtes abenteuerliches Wander- und Fahrtenleben führte, das ihn zur Niederschrift von Wander- und Fahrtenliedern inspirierte. Einige davon waren vor und nach der Vernissage, die sehr gut besucht war, zu hören.

    Helwig war ein künstlerisch
    und musisch begabter Mensch


    Nachdem Hannes Hug, Direktor der Universitätsbibliothek, die Gäste begrüsst und darauf hingewiesen hatte, dass diese hervorragend gestaltete Ausstellung in einer lockeren Reihe von Ausstellungen über fast vergessene Autoren und Aussenseiter der Literatur stehe, referierte Ursula Prause, Verwalterin des Nachlasses von Helwig, die auch alles konzipiert und eingerichtet hat, über das Leben und Werk des Schriftstellers und Dichters, den es vor dem Vergessenwerden zu bewahren gilt.

    Der 1905 in Berlin geborene Werner Helwig war ein künstlerisch und musisch begabter Mensch, der, ohne irgendeinen Schulabschluss, sich alles selber erringen und erwerben musste. In erster Linie interessierten ihn Sprachen, Literatur, Musik und Ethnologie. Er erwarb sich den Ruf «ein gelehrtes Ungeheuer» zu sein.
    Er verfasste im Verlaufe seines Lebens eine kaum überschaubare Anzahl von Essays, Rezessionen und Reiseberichten. Auch als Liedermacher wurde er bekannt.
Seine Reisen führten ihn vorerst in den europäischen Norden und nach der Emigration allem voran nach Griechenland und Italien.
    Vom Jahre 1939 an lebte er in Zürich, heiratete 1941 Yvonne Germaine Diem, musste jedoch 1942 unser Land verlassen, weil er gegen das Publikationsverbot verstossen hatte. Bis 1949 hielt er sich in Liechtenstein auf, ab 1950 wieder in der Schweiz, in Genf.
    Nachdem 1978 seine Frau gestorben war, heiratete Helwig 1981 Gerda Heimes. 1985, drei Wochen nach seinem 80. Geburtstag, starb er, ein Widergänger in verschiedener Hinsicht, ein Mensch, für den nur das Sinn machte, was zu Sprache wurde. Ein Autor, der in seinem Dasein zwischen den Kriegen, allen Stühlen und Parteien ein umfangreiches literarisches Werk erschrieb.

    Romane, Erzählungen, Lyrik
    und Nachdichtungen


    Im Jahre 1939 machte ihn der Roman «Raubfischer in Hellas» bekannt. Ein Erinnerungsbuch heisst «Auf der Knabenfährte». Mit der Jugendbewegung beschäftigte sich «Die blaue Blume des Wandervogels». Erzählungen und eine Novelle entstanden nach den Lapplandfahrten, ein Sizilien-Roman betitelte sich «Das Paradies der Hölle», und der Aufenthalt auf Capri ergab Stoff für fünf Bücher. Nach den Griechenland-Reisen ent-


standen die Romane «Gegenwind» und «Die Widergänger». Weitere Werke folgten. In den letzten 14 Monaten des Lebens schrieb Helwig nur noch Gedichte. In den Vitrinen sind ausgestellt Erstausgaben und Neuauflagen der Bücher, Manuskripte, Typoskripte, Korrespondenz, Urkunden, Fotos, Teile aus Helwigs Sammlungen und persönliche Dinge. - Eine Bereicherung der Buchproduktion wäre, wenn Werke dieses faszinierenden Autors nachgedruckt würden.

Die Ausstellung dauert bis 23.April





Plakat zur Werner Helwig - Ausstellung in Basel
in der Universitätsbibliothek.

Foto: François Lagarde, 1978
Zu sehen ist Werner Helwig mit 
einer japanischen Nò-Maske
aus seiner Sammlung.

WERNER HELWIG – DER WIDERGÄNGER
Aus der Einführung in die Ausstellung am 14.1.2005

Ein Roman von Werner Helwig trägt den Titel: DIE WIDERGÄNGER.
Als das Buch 1952 erschien, hieß es: „das künstlerisch am besten gelungene Buch von Werner Helwig“ (Heinz Schöffler), „ein Stück kostbarer, mit den klarsten lyrischen Tönen versetzte Erzählkunst“ (DIE ZEIT).
1965 zu Helwigs 60. Geburtstag schrieb Rolf Bongs: „Wenn Geburtstage dazu da sein sollen, Autoren ‚die Ehre zu geben’, so sollte man Werner Helwig die Ehre geben, aus der Fülle seiner Publikationen diesen Roman herauszuholen und zu lesen.“

DIE WIDERGÄNGER in Helwigs Roman sind Griechen des Dorfes OCHI, so genannt, weil sie zu oft zu den Forderungen der Regierung OCHI/NEIN gesagt haben. Deshalb wird OCHI von Besatzungstruppen niedergemacht. Sieben entkommen, flüchten auf ein verlassenes thessalisches Bergkloster, führen einen erbitterten Widerstandskampf gegen die Übermacht der Belagerer, ringen um äußere und innere Freiheit. - Einer dieser Widergänger ist Angelos Vlachos, Priester des Dorfes OCHI. Helwig lässt ihn nachsinnen über Menschsein und Lebenssinn und zu der Erkenntnis kommen: „der Mensch, dem das Leben widerfährt zwischen zwei Ewigkeiten, jener, aus der er auftauchte, und jener, in die er eingeht [...] zieht seine Spur durch ein Stück Zeit und leuchtet auf an den Widerständen“.

Helwig, in verschiedener Hinsicht ein Widergänger, führte – so Jean Améry – „das Leben eines Mannes, der mit mehr Berechtigung als andere von sich sagen dürfte, er gehöre einer ‚verlorenen Generation’ an“. Helwig selbst hat einmal von seiner Generation und damit von sich gesagt, „zwischen den Kriegen, zwischen den Stühlen, zwischen den Parteien“ zu stehen. Aus dieser Position heraus musste auch er seinen Weg suchen und gehen.
Er suchte und ging ihn eigenwillig und ungeachtet mancher Konventionen - Irrwege nicht ausgeschlossen.
Der Mensch Helwig war sicher auch kein leichter Zeitgenosse: „Verstand ... mich selbst, dass ich immer Gegenwind war für die andern. Dass, wo ich mich niederließ, Entzündungen entstanden. Dass meine Gegenwart Wandlungen auslöste und dass das im Spiel der Kräfte meine Rolle war und bleiben würde“.(AUF DER KNABENFÄHRTE).
Helwigs Rolle war nach seinen eigenen Worten „immer außenseiterisch geprägt“.

Helwig, auch literarisch ein Außenseiter, wurde und wird jedoch von den meisten seiner Kritiker und Leser vorrangig gerühmt wegen seiner sprachlichen Meisterschaft, seiner prägnanten, brillanten Ausdrucks- weise, seiner Wortgewalt, ja: Wortmagie.
Ein Rezensent der Helwigschen WALDREGENWORTE nannte Helwig einen „literarischen Widergänger“. Das Waldregenwort: „Die Erde der Sprache ist durchhöhlt von Gängen und Verstecken, darin Wörter zergangen sind, die nur noch die Ahnung ihres Abdruckes hinterlassen haben“ gelte nicht für Helwigs Sprache – im Gegenteil. Im Gegensatz zu denen, die durch ihren Umgang mit Sprache zu deren Substanzverlust beitragen, verstehe er es, „an die Wurzelgründe der Sprache“ vorzudringen – „daher die beglückend echte Leuchtkraft seiner Gebilde“.
(Thomas Douglas vom Theater Basel hat dies durch eine vorzügliche Auswahl Helwigscher Texte und deren einfühlsamen Vortrag deutlich werden lassen.)
Ursula Prause